Säubern wir uns zu Tode?
19.07.2000
Gut gemeint ist auch hier das Gegenteil von gut: Während wir bemüht sind, immer größere Teile unserer täglichen Umwelt immer besser zu reinigen, stören wir das bakterielle Gleichgewicht. Das Ergebnis: Untrainierte Immunsysteme und resistente Bakterienstämme.
Irrationale Ängste und übertriebener Sauberkeitswunsch hindern uns daran, endlich (wieder) ein vernünftiges Verhältnis zu unserer "bakteriellen Umgebung" zu entwickeln, meint Dr. Stuart Levy, Mediziner und Mikrobiologe an der "Tufts University School of Medicine".
"Indem wir alles, was wir berühren, sofort antibakteriell reinigen und bei der geringsten Erkältung Antibiotika nehmen, rotten wir hauptsächlich benigne Mikroorganismen aus, die das bakterielle Gleichgewicht in und um uns bewahren: Was überlebt, sind resistente "Superbugs", meint der Forscher.
Damit würde eine unnatürliche Selektion unter den Bakterien begünstigt, die letztendlich und unbeabsichtigt zu globalem Auftreten antibiotikaresistenter Bakterienstämme geführt habe. Levy, der seine Studienergebnisse gestern auf der "Internationalen Konferenz zur Entstehung von Infekten" vorgestellt hat, empfiehlt die Rückbesinnung auf althergebrachte Reinigungsmittel.
So greife man etwa zu Alkohol und Chlorbleiche ebenso wie zu langbewährter Seife und heißem Wasser: "Starke, antibakterielle Reiniger sollten nur eingesetzt werden, wenn jemand erkrankt ist oder ein schwaches Immunsystem hat. Dann allerdings sollte auch richtig desinfiziert werden und beispielsweise antibakterielle Reiniger minuten- und nicht sekundenlang einwirken".
Wie eine neue italienische Studie ergab, müssen Babies im ersten Lebensjahr einer bestimmten Anzahl von Keimen ausgesetzt sein, um eine adäquate Immunstärke entwickeln zu können. Ist die Umgebung zu sauber, wird die Produktion der T1-Helferzellen nicht genügend stimuliert und damit das gleichgewicht mit den gelichzeitig produzierten T2-Helferzellen gestört. Der lebenslange Kampf gegen Allergien ist die Folge.
"Genauso wie Training für den Kinderkörper ist die Stimulation des Immunsystemes wichtig und notwendig. Bakterien sind ein natürlicher und notwendiger Teil unserer Umwelt; tatsächlich schützen sie uns gegen eine Vielzahl von Erkrankungen, weil sie mit pathogenen Mikroorganismen konkurrieren und damit deren Zahl begrenzen", bricht Levy eine Lanze für die kleinen Verbündeten.
© medizin.at
medflash u. medizin.at sind Produkte der treAngeli/ARGE teledoc.
Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Die Nachrichten sind
nur für die persönliche Information bestimmt. Jede weitergehende Verwend-
ung, insbesondere die Speicherung in Datenbanken, Veröffentlichung, Ver-
vielfältigung und jede Form von gewerblicher Nutzung sowie die Weitergabe
an Dritte - auch in Teilen oder in überarbeiteter Form - ohne Zustimmung
von treAngeli/ARGE teledoc ist untersagt. Es wird seitens der Urheber jede
Haftung für Inhalte und deren Auswirkungen ausgeschlossen. Wien, 1/2000