Bei Opfern schwerer Unfälle muß neben medizinischer auch psychologische Erste Hilfe geleistet werden. Damit können langfristige Folgen wie die Entwicklung einer posttraumatischen Störung weitgehend verhindert werden.
Dies betonten Experten anläßlich eines von Prof. Dr. Heinz Katschnig geleiteten internationalen Symposiums an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Wien. Denn die Konfrontation mit dem Tod, wie sie im Rahmen von Katastrophen, Autounfällen oder Gewalttaten oder politischer Verfolgung auftritt, stellt einen massiven Streßfaktor dar, mit dem nur die wenigsten Menschen allein fertig werden.
Krankheitsrisiko steigt
Jedes fünfte Opfer von Verkehrsunfällen und mehr als die Hälfte aller vergewaltigten Frauen leidet langfristig an einer PTSD-Symptomatik. Dieses als "Posttraumatische Belastungsstörung" oder "Post Traumatic Stress Disorder" bezeichnete Krankheitsbild äußert sich vor allem in Symptomen wie immer wiederkehrenden belastenden Erinnerungen an das Unglück, sogenannten Intrusionen, einer erhöhten Reizbarkeit und einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten. Alles, was die Erinnerung wachrufen könnte, wie etwa das Lesen einer Tageszeitung oder das Tragen bestimmter Kleidungsstücke, wird ängstlich vermieden. In einigen Fällen kann die Belastung bis zur Berufsunfähigkeit führen oder Umschulungsmaßnahmen erforderlich machen. Posttraumatische Störungen multiplizieren zudem das Risiko für andere Krankheiten. So leidet eine Vielzahl früherer Unfallopfer an Angststörungen, Depressionen oder Panik-attacken. Die Gefahr einer späteren Herz-Kreislauf-Erkrankung ist verdreifacht. "Wir dürfen auch die etwaige Suizidgefahr bei diesen Patienten nicht übersehen", warnte Katschnig.
Das Risiko der Entwicklung einer posttraumatischen Störung hängt nicht nur von Unfallhergang und Ausmaß der körperlichen Verletzungen, sondern auch von persönlichen Dispositionen ab. Dr. Elisabeth Nyberg, Psychologin an der Freiburger Univ.Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik, ergänzte: "Nach Unfällen sind Frauen etwa doppelt so häufig als Männer von einem PTSD betroffen." Außerdem benötigen Patienten, die später unter posttraumatischen Störungen leiden, unabhängig vom Schweregrad ihrer körperlichen Verletzungen, einen längeren Spitalsaufenthalt. "Wir arbeiten gerade an der Entwicklung eines Screening-Instrumentes, das es den Unfallchirurgen ermöglichen soll, die Risikofaktoren für spätere PTSD-Patienten zu erkennen", so Nyberg. Auf diese Weise könnte frühzeitig psychologisch interveniert werden.
Therapie: Vorsichtige Konfrontation
Zur Behandlung von PTSD-Patienten sind nach Ansicht der Experten verhaltenstherapeutische Ansätze besonders geeignet. Dabei erlebt der Patient zunächst "in sensu" das auslösende Ereignis noch einmal. Später kann etwa durch das Aufsuchen der Unfallstelle eine "In-vivo"-Exposition erfolgen, um dem Patienten zu zeigen, daß er die Konfrontation mit seinen Erinnerungen aushalten kann.
Auch die Pharmakotherapie hat sich in der Behandlung von PTSD bewährt. Sie stellt vor allem dann eine sinnvolle Ergänzung im Gesamtbehandlungskonzept dar, wenn Patienten unter Panikattacken, depressiven Symptomen oder Halluzinationen leiden. Gerade für letztere gibt es kein wirksames psychotherapeutisches Verfahren. Naturkatastrophen und Unfälle können nicht verhindert werden. Durch die gezielte Vorbereitung von Risikogruppen (Psycho-Edukation) kann jedoch eine gewisse Präventionsarbeit geleistet werden. Die rechtzeitige Konfrontation mit dem, was sie erwarten könnte, kann z.B. bei Mitgliedern von Rettungstrupps die Auswirkungen des psychischen Traumas deutlich verringern.
Als eigene psychiatrische Diagnose existiert PTSD übrigens erst seit Beginn der 80er Jahre. Der Anerkennung dieses Syndroms kommt nicht nur therapeutisch, sondern auch für Entschädigungsansprüche große Bedeutung zu.
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