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Patienten ohne Krankenversicherung

18.10.1999

Fast jedes Krankenhaus ist mit Patienten ohne Krankenversi-cherung konfrontiert. Die Palette reicht von Ausländern, seien sie nun legal, illegal oder urlaubend im Lande, "Sandlern" und anderen sozial Schwachen bis zu durchschnittlich situierten Bürgern, die einfach nur nachlässig mit ihren Angelegenheiten umgehen.

Über 50.000 bis 100.000 Menschen sind ohne Krankenschein allein in Wien, wird gemunkelt. "99,9 Prozent der inländischen Bevölkerung unterliegen irgendeiner Form des sozialversicherungsrechtlichen Schutzes", entgegnet Hans Neuwirt, Leiter der Patientenverrechnung am Landeskrankenhaus Innsbruck (LKI). Den Anstoß für diesen Artikel lieferten vertrauliche Berichte von Praktikern. So sei ein Ausländer in Suizidgefahr nach drei Wochen stationärer Behandlung vom Exekutor an seinen therapiebedingten Schuldenberg in der Höhe von 300.000 Schilling erinnert worden.

In einem anderen Fall wurde ein mittelloser suizidgefährdeter Patienten von einem Spital "weggeschickt" und nahm sich auf dem Heimweg das Leben. Ein junger Spitalsarzt wiederum kannte persönlich einen Rumänen mit Leukämie, der mit Chemotherapie gute Heilungschancen gehabt hätte. Sie wurde jedoch verweigert, weil der Patient nicht krankenversichert war. Er starb.

Diese Berichte mögen einseitig, unvollständig und kaum zu verifizieren sein. Wir fragten daher mehrere Spitäler nach ihrer Vorgangsweise.

Gesetzlicher Behandlungsauftrag Grundsätzlich unterliegen Spitäler einem gesetzlichen Behandlungsauftrag, der zumindest die Erste-Hilfe-Leistung sichert, meist jedoch mehr. "Bei uns werden alle Patienten, unabhängig von Religion, Staatszugehörigkeit und Krankenschein, gleich gut behandelt. Die Finanzierung interessiert die Ärzte nicht", betont Prof. Dr. Anton Laggner, Notfallaufnahme im AKH Wien.

Keine amerikanischen Verhältnisse "Die Finanz ist Aufgabe der Verwaltung", präzisiert Prim. Prof. Dr. Helmut Umek, Ärztlicher Leiter im Wilhelminenspital der Stadt Wien. "Meine klare Weisung lautet: Jeder Patient muß angeschaut werden! Denn es könnte sich ja auch um einen drohenden Infarkt handeln. Wir schicken daher auch niemanden weg." Auch Neuwirt vom LKI bestätigt, daß in Notfällen die Frage nach dem Krankenschein vorerst sekundär ist.

"Bei uns herrschen keine amerikanischen Verhältnisse. Dort heißt es: zuerst Cash, dann Behandlung", erklärt Neuwirt und zitiert ein Fallbeispiel: "Ein älterer Österreicher ist mit seinem Sohn in die USA gereist und hat vom langen Flug eine Thrombose bekommen, mit dringender Gefahr eines drohenden Herzinfarktes. In einem Krankenhaus wurde ihm solange die Behandlung verweigert, bis sein Sohn einen gewissen Betrag vorausgezahlt hat."

Im Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) gilt laut Verwaltungsleiter Josef Vaculik die offizielle Linie: "Wir sind selbstverständlich zur Erste- Hilfe-Leistung verpflichtet. Daher wird im Rahmen der Erstaufnahme eine gute Erstversorgung aller Patienten durchgeführt. Niemand wird nach einem Unfall weggeschickt." Allerdings: "Wir verwalten öffentliche Gelder und haben nichts zu verschenken. Der Patient, der zu uns kommt, geht mit seiner Unterschrift einen privatrechtlichen Vertrag ein. Er hat entweder einen Krankenschein zu bringen oder die Behandlung zu bezahlen." Manchmal, so Vaculik, führt dies zu Einbringungsproblemen. Rund 100 bis 200 solcher Fälle werden pro Jahr von der AUVA "abgeschrieben".

Unterstützung für Bedürftige Viele Spitäler sind Patienten bei der Klärung unklarer Versicherungsverhältnisse behilflich. Denn fast alle Inländer sind krankenversichert, sei es aufgrund von Berufstätigkeit, Arbeitslosigkeit oder Notstand. Nachweislich Mittellose werden von den regionalen Sozialämtern gemäß den gültigen Landesgesetzen unterstützt. Gegebenenfalls wird auf vorhandenes Vermögen bzw. Zahlungsverpflichtungen von Angehörigen zurückgegriffen.

Diese Regelungen gelten für österreichische Staatsbürger bzw. Gleichgestellte wie z.B. Konventionsflüchtlinge und Angehörige aus Staaten mit gegenseitigem Sozialhilfevertrag, wie etwa alle EU- und EWR-Mitgliedsstaaten. Ein Sprecher der MA 12 in Wien bezifferte den jährlichen Aufwand für uneinbringbare Krankenbehandlungen mit "weit mehr als einen Milliardenbetrag".

Berufsrisiko in Vorarlberg Das im Ländle übliche poststationäre Vorgehen schildert Harald Maikisch, Geschäftsführer-Stellvertreter der Vorarlberger Krankenhäuser - Betriebsgesellschaft für die Landeskrankenhäuser in Bregenz, Feldkirch und Rankweil: "Ist der Patient bei keiner Krankenversicherung angemeldet und kann die Behandlung nicht selbst bezahlen, stellt das Spital bei der Bezirkshauptmannschaft einen Antrag auf Kostenübernahme.

Diese überprüft, ob der Patient tatsächlich mittellos ist. Wenn ja, bezahlt sie die Behandlung." Allerdings "nur die Kosten einer notwendigen Behandlung nach dem Krankenkassentarif", erklärt Wolfgang Oberhauser, Leiter der Bregenzer Sozialhilfeabteilung. Nur selten kommen die Krankenhäuser nicht zu ihrem Geld. Maikisch: "Die Beträge sind gering. Das gehört sozusagen zum Berufsrisiko. Hauptsächlich handelt es sich um zahlungsunwillige Touristen."

Gretchenfrage in Graz Besonders rührig setzt sich das Landeskrankenhaus Graz für Patienten ohne Krankenschein ein. Bei Ausländern werden Psychologen und Dolmetscher auf der Krankenstation beigezogen, um ihre Situation zu klären. "Zahlungswilligen Patienten kommen wir so weit wie möglich entgegen, z.B. bieten wir eine Ratenzahlung an", betont Manfred Sagmeister, Gruppenleiter der stationären Patientenaufnahme. Quantitativ handele es sich um ein Problem "im Promille- bis Prozentbereich". "Inländer sind eine verschwindende Größe, wenn, dann haben sie eher aus Nachlässigkeit keinen Krankenschein".

Oft ergeben Nachforschungen, daß sie unwissentlich krankenversichert sind. "Die legal in Österreich anwesenden Ausländer regeln soweit möglich eher alles besser als die Inländer", differenziert Sagmeister. "Das größte Problem sind Illegale." Darüber hinaus kennt er noch eine besondere Klientel: "Patienten, die bewußt eine fremde Adresse und Sozialversicherungsnummer angeben. Sie stammen häufiger aus dem inländischen Bereich." Oft sei es dann eine "Gretchenfrage", die wahre Identität des Patienten herauszufinden bzw. den vorgetäuschten Patienten mittels Alibi etc. zu entlasten.

Alles gratis Ein Sonderfall ist das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien. Laut Prim. MR Dr. Heinrich Mader, dem ärztlichen Leiter, werden "mangels entsprechender Ambulanzverträge mit den Sozialversicherungen zirka 60.000 ambulante Patienten pro Jahr nahezu zur Gänze kostenlos behandelt". Die Anzahl der nicht im sozialen Netz eingebetteten Personen liegt in Wien um einiges über dem Österreichdurchschnitt. So ist sicher ein Großteil der ambulanten Patienten in diesem Krankenhaus nicht krankenversichert.

Nicht selten werden mittellose Menschen mit "Einweisungen" aus anderen Wiener Spitälern oder sozialen Einrichtungen zu den Barmherzigen Brüdern geschickt. Mader: "Im stationären Bereich sind jährlich zirka 600 Patienten nicht versichert, so daß nur ein Bruchteil der verursachten Kosten wieder hereingebracht werden kann." Ein Teil davon wird durch die jährliche Haussammlung abgedeckt, der Rest vom Orden übernommen.

© medizin.at / ÄRZTEWOCHE

 

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