"Mit dem Hintern zuerst -na und?", so lautete eine Veranstaltung Ende Mai in der Semmelweis Frauenklinik in Wien. Die Beckenendlagengeburt -ist sie ein unverantwortbares Risiko oder nur eine Regelwidrigkeit? Über dieses Thema sprach die ÄRZTE WOCHE mit Dr. Michael Adam, Leiter des Geburtshauses Nußdorf.
Frage: Eine Beckenendlage gilt in vielen Spitälern als Indikation für eine Sectio -besonders bei Erstgebärenden. Das Risiko für das Kind soll dadurch geringer sein. Ist dieses Vorgehen berechtigt?
ADAM: Bei der Veranstaltung in der Semmelweis Klinik, die Prof. Dr. Wagenbichler gemeinsam mit mir organisierte, konnten Daten präsentiert werden, die zeigen, daß eine Beckenendlage ganz normal vaginal zu entbinden ist, und dadurch kein erhöhtes Risiko für das Kind besteht. Dr. Michael Krause, Oberarzt an der Frauenklinik Süd in Nürnberg, legte die Ergebnisse einer Zehn-Jahresstudie vaginal entbundener Beckenendlagen vor. Besonders beeindruckend waren die Daten der yrischen Entwicklungsstudie, die Prof. Dr. Wolke von der Universität Hertfordshire in London vorstellte. Untersucht wurden ca. 70.600 Geburten. Davon wurden 716 Kinder nach einer Beckenendlagenge-burt in ein Kinderspital verlegt. Nachuntersuchungen erfolgten bis zum 5. Lebensjahr.
Es besteht kein Unterschied, ob eine Beckenendlage vaginal oder per Sectio entbunden wird.
Frage: Sie sagen also, eine Beckenendlage sei eine normale Geburt wie jede andere?
ADAM: Nein, keineswegs. Eine Beckenendlage birgt per se ein höheres Risiko: Der APGAR ist niedriger. Die perinatale Mortalität steigt z.B. in der Semmelweisfrauenklinik von 0,4 auf 3 Promille, also auf mehr als das Siebenfache. Das Entscheidende ist aber, man kann dieses Risiko durch eine Sectio bei Beckenendlage nicht vermindern, sondern im Gegenteil, man erhöht nur das mütterliche Risiko, wie bei jeder Sectio. Diese Daten konnten von österreichischen Spitälern bestätigt werden.
Frage: Was sind die Gründe für eine erhöhte perinatale Mortalität bei einer Beckenendlage unabhängig von der Entbindungsart?
ADAM: Die Gründe sind unbekannt. Es wird angenommen, daß die Beckenendlage als Regelwidrigkeit schon anzeigt, daß irgend etwas nicht stimmt. Das heißt, liegt ein Kind mit dem Hintern nach unten, dürfte also irgendwas nicht in Ordnung sein. Es gibt nur Hypothesen über die Ursachen. Schon Freud, der sich vor der Psychiatrie mit Perinatologie beschäftigte, behauptete, daß es nicht durch die Geburt zu Schädigungen komme, sondern bereits in utero geschädigte Kinder Schwierigkeiten bei der Geburt hätten.
Frage: Gibt es nun Fälle, wo Sie doch eine Sectio bei einer Beckenend-lage durchführen würden?
ADAM: Ein Satz von Dr. Krause gefällt mir hier sehr gut: Das entscheidende Kriterium für eine vaginale Geburt ist die Dynamik der Geburt in der Austreibungsphase. Das heißt, eine Geburt muß zügig vorangehen. Kommt es zu Verzögerungen, würde ich sectionieren. Ein anderer Parameter ist, daß der Thoraxdurchmesser nicht mehr als einen Zentimeter weniger ist als der Kopf-umfang. Dadurch wird garantiert, daß der Thorax imstande ist, die Vagina entsprechend für den Kopf vorzudehnen. An der Semmelweisfrauenklinik lag 1997 die Rate der sekundären Sectiones für Schädellagen bei 4,5% und bei Beckenendlagen bei 31%. Auch die früher eher großzügig durchgeführten Episiotomien sind bei Beckenendlagen keineswegs nötig.
Frage: Wie ist die rechtliche Lage in Österreich, falls es bei einer vaginal entbundenen Beckenendlage zu Komplikationen kommt?
ADAM: Das ist eine Frage der Aufklärung und Dokumentation. Es muß glaubwürdig dargelegt werden, daß die Frau über die wesentlichen Dinge aufgeklärt wurde. Die wesentlichen Dinge sind: erstens, daß es eine Diskussion über die optimale Entbindungsart bei Beckenendlagen gibt. Zweitens, daß sich Mutter und Arzt das Risiko nur teilen können. Und drittens, daß es zu Arm- und Schlüsselbeinbrüchen des Kindes kommen kann, aber zu keinem erhöhten Risiko für andere Schädigungen des Kindes durch die vaginale Entbindung. Es gibt keine Geburtshilfe, wo nichts passiert. Entscheidend ist ein sensibler Umgang mit der Frau beziehungsweise den Eltern, falls etwas passiert.
Frage: Je nach Statistik präsentieren sich drei bis fünf Prozent aller Feten am Termin in Beckenendlage. Wie verfahren Sie nun im Detail bei dieser Gegebenheit?
ADAM: Wir versuchen, eine Wendung herbeizuführen. Anfangs durch die Brücke, so ab der 32. Schwangerschaftswoche. Anschließend durch Akupunktur und Moxa. Führt dies alles nicht zum Ziel, führe ich seit zirka zwei Jahren äußere Wendungen durch.
Frage: Wie funktioniert so eine äußere Wendung, wie erfolgreich sind Sie mit dieser Methode und welche Komplikationen kann es dabei geben?
ADAM: Äußere Wendungen führen wir in der 36.- 37. Schangerschaftswoche durch. Gemeinsam mit zwei Helfern -einer überprüft immer wieder die Herztöne, der zweite schaut mittels Ultraschall wie die Lage des Kindes ist -ist es wirklich ein Handeln im wörtlichen Sinn. Für die Frau kann es durchaus schmerzhaft sein, deshalb biete ich Hypnose als tiefen Entspannungszustand an, wenn die Frau es wünscht. Der Vorgang wird außerdem in Tokolyse durchgeführt.
Zwischen zehn Sekunden und zwanzig Minuten kann die Wendung dauern. In 50 Prozent der Fälle war ich bisher erfolgreich. Unsere Beckenendlagenrate haben wir dadurch um die Hälfte reduziert. Komplikationen bei Wendungen hatte ich bisher keine. In Einzelfällen wird über Notkaiserschnitte berichtet. In der neueren Literatur und mir selbst sind solche Komplikationen nicht passiert.
Ist es uns nicht gelungen, den Fetus in Schädellage zu bringen, ist bei einer Beckenendlagege-burt immer ein Pädiater und ein zweiter Gynäkologe anwesend.
Frage: Viele Geburtshelfer befürchten, daß nach Durchtritt des Nabelschnuransatzes der Muttermund um den Kindeshals zugehen könnte, und so einerseits der Kopf stecken bleiben und zweitens die Nabelschnurver- sorgung unterbrochen werden könnte. Be- stehen diese Ängste zu Recht?
ADAM: Bei einem Neugeborenen fängt eine pathologische Sauerstoffsättigung unter 30 Prozent an. Drei Minuten hat man Zeit nach Geburt des Nabelschnuransatzes, bis der Kopf geboren werden muß. Und drei Minuten sind lang. Natürlich kann der Muttermund um den Hals des Kindes zugehen, aber ich glaube, diese Angst ist nicht wirklich real begründet.
Überhaupt ist das mein größtes Anliegen: der vaginalen Beckenendlagengeburt den Schrecken zu nehmen. Sie ist eine Regelwidrigkeit, aber sie ist meiner Meinung nach viel zu sehr pathologisiert.
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