Endotoxinbil- dende Bakterien finden sich zahlreich an und in unserem Organismus sowie in unserer Umwelt. Sie induzieren eine starke Immunantwort, können aber auch zu schweren Infektionen bis hin zur Sepsis und zum letalen septischen Schock führen. Hauptstrategie war es bisher, die Krankheitserreger möglichst rasch und effizient mittels Antibiotika zu eliminieren.
"Viele Symptome und Folgen der Sepsis und des septischen Schocks werden von den Zellen des Immun- und Gefäßsystems und ihrer Mediatoren hervorgerufen. Bei Überstimulierung können sie den Organismus selbst schädigen", gab Prof. Dr. Ernst Theodor Rietschel, Forschungszentrum Borstel, Deutschland, beim Immuno-Symposium über Entzündung in Budapest zu bedenken. "Um die hohe Letalität des septischen Schocks zu senken, müssen wir nach Möglichkeiten suchen, die Endotoxine zu neutralisieren oder in die Antwort des Organismus einzugreifen!"
Symptome durch Re- aktion auf Endotoxine
Der septische Schock stellt die Maximalvariante einer Infektion dar. Er ist gekennzeichnet durch hohes Fieber, niedrigen Blutdruck, Tachykardie, Tachy-pnoe, systemischer intravasaler Gerinnungsaktivierung und Thrombenbildung und Multiorganversagen. Diese Symptome werden weniger durch die Erreger oder deren Produkte selbst als durch die Reaktion des Körpers auf Endotoxine hervorgerufen. Losgelöst von der Bakterienwand können sie an Zellen des Immunsystems binden. Sie führen zu einer massiven Aktivierung und Produktion von Entzündungsmediatoren. Als Auslöser dieser Stimulation wurden sie Endotoxine genannt.
Antibiotika nur indirekt wirksam
Chemisch handelt es sich um Lipopolysaccharide (LPS), die einen wesentlichen Bestandteil der Bakterienwand von gram-negativen Keimen ausmachen. Gegen Endotoxine sind Antibiotika nur indirekt wirksam, insofern sie das Wachstum und die weitere Vermehrung von Bakterien hemmen können. Sie können freigewordene LPS jedoch nicht neutralisieren, sondern führen sogar zu erhöhter Freisetzung von LPS durch Lyse von Bakterien.
Der Versuch, Endotoxine mittels Antikörpern zu neutralisieren, führte in Tierversuchen zu einer erheblich verringerten Letalität des septischen Schocks. Doch die Entwicklung klinisch brauchbarer Antikörper stieß auf einige Hürden. Es wurden Antikörper entwickelt, die an verschiedene Teile der LPS binden. Zuerst bekannt wurden die Zuckerseitenketten, die O-spezifischen Seitenketten, auf deren hoher Variabilität die Einteilung in verschiedene Serotypen basiert. Antikörper gegen diese O-Ketten weisen eine hohe Affinität auf, sind jedoch speziesspezifisch und dadurch in der Situation des septischen Schocks wenig geeignet. Es ging also nach den ersten Versuchen darum, Antikörper gegen ein möglichst breites Spektrum von Erregern bzw. LPS zu finden.
Antikörper als Medikament
Wesentlich konstanter ist das "Kern-Oligosaccharid", an dem die O-spezifischen Zuckerketten hängen, und das "Zuckerrück-grat" des Lipidanteils, die Glykos- amine, an denen die Fettsäuren hängen. Dieser Teil wirkt auch stark antigen, das heißt, er ruft eine gute Antikörperproduktion hervor. Er beinhaltet Zucker (z.B. "Kdo"), die nur bei gram-negativen Keimen vorkommen und für deren Überleben essentiell sind. 1993 schrieb Rietschel in einem Artikel im "Spektrum der Wissenschaft": "Als Medikament verabreicht könnten Antikörper (gegen die Kern-Zucker und besonders gegen das Kdo) gleich zwei Vorteile in sich vereinen: Sie würden die gezielte Immunreaktion auf die O-spezifische Kette von Endotoxinen ergänzen, und sie böten die Möglichkeit, der zunehmenden Entwicklung von Antibiotika-resistenten gram-negativen Bakterienstämmen entgegenzuwirken. Denn eine unentbehrliche, konservierte Region eines Moleküls kann sich nicht ohne weiteres durch Mutationen verändern, ohne zugleich das Überleben der Bakterien zu gefährden."
Doch es stellte sich heraus, daß Antikörper gegen diese Polysaccaridanteile in vivo oft unwirksam sind. Die Polysaccharidteile werden durch Zucker-ketten verdeckt, die Antikörper also an ihrer Bindung behindert. Inzwischen gibt es aber Antikörper mit einer breiten Reaktivität gegen LPS, wie sie in vivo vorkommen.
Immunglobuline werden gut vertragen
Generell bietet die Therapie mit Antikörpern gegen LPS den Vorteil, daß sie in einer sehr frühen Stufe der Ereigniskaskade ansetzen, eine relativ lange Halbwertszeit haben, daß Immunglobuline gut vertragen werden und daß Komplexe aus Antikörpern und LPS auch das Komplementsystem aktivieren und damit zu einer verstärkten Elimination ohne eine begleitende Entzündungsreaktion führen würden.
Der gegenteilige Ansatz ist, die Moleküle, mit denen LPS reagieren, zu blockieren. Als wichtigstes ist hier das CD14 zu nennen. Es findet sich an Monozyten, Makrophagen und in geringerer Dichte an allen anderen reifen Zellen der myeloiden Reihe. In das Blut gelangte Endotoxine werden an das Lipopolysaccharid-bindende Protein (LBP) gebunden, und der ganze Komplex dockt dann an das CD14 als Rezeptor an.
Diese Bindung an den membranständigen Rezeptor löst eine Reihe von Reaktionen im Makrophagen aus, allen voran die Ausschüttung der Interleukine 1, 6, 8, 10, 12, des Migration-Inhibitor-Factors (MIF) und besonders des Tumor necrosis factor alpha (TNF-alpha). Die Bedeutung des CD14 wird an Mäusestämmen ersichtlich, denen das CD14 fehlt und die um Potenzen höhere Dosen an LPS überleben.
Die Bedeutung des LBP wiederum zeigt sich darin, daß geringe Mengen an LPS Zellkulturen um das Tausendfache mehr stimulieren, wenn LBP-hältiges Serum zugesetzt wird. Bei einer Infektion wird LBP vermehrt von der Leber synthetisiert und die Serumwerte steigen als Ausdruck dieser Akute-Phase-Reaktion um das Zehnfache. Der Lipid- anteil selbst wird Lipoid A (oder Lipid A) genannt und weist die höchste Konstanz auf. Er ist es auch, der für die toxische Wirkung der LPS verantwortlich ist. Antikörper dagegen haben eine sehr breite Kreuzreaktivität. Rietschel entdeckte, daß für die Bindung der LPS und die Aktivierung der Makrophagen und Monozyten unterschiedliche Anteile des Lipoid A verantwortlich sind. Während LPS mit dem Zuckerrückgrat des Lipoid A an die Zellen binden, aktivieren sie diese mittels der Fettsäuren. Eine Möglichkeit besteht nun darin, die Bindung der LPS an seine Rezeptoren mit verwandten, aber unwirksamen Molekülen zu hemmen, indem diese um die Bindungsstellen konkurrieren. Die Substanz 406 ist in der Lage, an Monozyten und Makrophagen zu binden, kann aber die Zellen nicht aktivieren. Die Wirksamkeit solcher Teilstrukturen, die auch Lipid-A-Antagonisten genannt werden, wird derzeit im Tierversuch getestet.
Neutrophile Granulozyten produzieren ein sehr potentes LPS-neutralisierendes Protein: das bakterizide permabilitätssteigernde Protein (BPI). Es überrascht nicht, daß es Ähnlichkeit zum LBP hat. Nun gelang es, gentechnologisch den wirksamen Anteil des Moleküls herzustellen (rBPI23). Er wird bereits im Rahmen einer klinischen Studie bei Patienten mit meningokokkeninduziertem septischen Schock untersucht.
Wirksame Angriffspunkte
Prinzipiell könnte jede weitere Stufe -von der Produktion der Zytokine und Adhäsionsmoleküle bis zu deren Bindung und Wirkung an der Zielzelle -Ansatz eines Therapiekonzeptes sein. Doch scheinen die frühesten Stufen die wirksamsten Angriffspunkte zu sein.
Möglicherweise kann die Blockierung dieser ersten Schritte in der Kaskade der Sepsis auch prophylaktisch eingesetzt werden, um erst gar keinen Schockzustand entstehen zu lassen. Weiters sind Zytokine und Adhäsionsmoleküle auch an der Gegenregulation des Geschehens beteiligt und die Folgen einer Blockade auf dieser Ebene noch nicht in ihrer Gesamtheit absehbar. Deshalb ist es günstiger, zunächst mehr auf die exogenen als auf die endogenen Komponenten einzuwirken.
Völlig verfehlt wäre, ein Leben ohne Endotoxine anstreben zu wollen. Einerseits ist dies unmöglich, da unser Körper täglich mit etwa 10-20g davon konfrontiert ist. Etwa 5pg/ml Endotoxine zirkulieren im Blut. Sie halten gewissermaßen einen "Tonus" des Immunsystems aufrecht. "Zwei Millionen Menschen sterben jährlich an einem septischen Schock, die anderen sechs Billionen Menschen aber profitieren von Endotoxinen", meinte Rietschel.
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