Die schwere Finanzkrise, die Asiens Volkswirtschaften erschüttert, erreicht nun auch die Gesundheitssysteme der betroffenen Länder. Experten befürchten vor allem Rückschläge bei der Versorgung ärmerer Menschen. Besonders Schwangere und kleine Kinder sind derzeit von den Sparmaßnahmen betroffen. Eine weitere Belastung der Haushalte droht nun, die in Jahrzehnten hart erkämpften Fortschritte auf dem Gesundheitssektor zunichte zu machen, warnten die Teilnehmer einer Konferenz, die sich kürzlich in Tokio mit den sozialen Kosten der Wirtschaftskrise für die Menschen in Asien beschäftigte.
Lebensqualität für lange beeinträchtigt
Ziel des Treffens, zu dem das japanische Außenministerium, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), Japans Agentur für internationale Zusammenarbeit und andere Institutionen eingeladen hatten, war es, besonders für internationale Geber ein klareres Bild der Folgen zu entwerfen, die die Krise für die Menschen vor Ort nach sich zieht.
Experten aus Thailand, Indonesien, Malaysia und den Philippinen stimmten überein, daß schon jetzt die Haushalte bis an den Rand der Möglichkeiten ausgelastet sind. Der UNDP-Experte Richard Jolly rief die Regierungen der Region auf, trotzdem keine Abstriche bei der Gesundheitsversorgung hinzunehmen. Ansonsten würden "menschliche Entwicklung und Lebensqualität bis weit in die Zukunft beeinträchtigt". Er ermahnte die Verantwortlichen, von den Erfahrungen in Afrika und Lateinamerika zu lernen, wo Regierungen in den 80er Jahren unter dem Druck von Strukturanpassungsprogrammen Sozialprogramme zusammengestrichen hatten. Dort habe man sich bis heute nicht von den Schäden erholt, fügte Jolly hinzu, der den UNDP-Bericht über die menschliche Entwicklung 1997 koordiniert hatte.
Südostasien besonders hart betroffen
Schwangeren und kleinen Kindern gehe es derzeit am schlechtesten, beklagte auch Triono Soendoro, der Leiter der Sozial-, Gesundheits- und Ernährungsbüros von Indonesien. Die Abwertung ihrer Währungen hat die südostasiatischen Gesundheitssysteme besonders hart getroffen, da sie in einem hohen Maß von der Einfuhr von Medikamenten und medizinischer Ausrüstung abhängen.
Indonesien wendet etwa 70 Prozent seines Gesundheitshaushalts für den Import von Materialien für Medikamente und medizinische Ausrüstung auf, Thailand führt für etwa 45 Prozent seines Budgets ausländische Medikamente ein. Seit der Abwertung der indonesischen Rupiah Ende 1997 ist es daher zu Engpässen bei einigen Programmen der nationalen Gesundheitsversorgung gekommen, erklärte Soendoro.
Beinahe 18 der insgesamt 200 Millionen Einwohner Indonesiens, die meisten davon aus niedrigen Einkommensschichten und ländlichen Gebieten, sind in Folge der Wirtschaftskrise höheren Gesundheitsrisiken ausgesetzt, ergaben Erhebungen. Um Kosten zu sparen, vermeiden immer mehr Menschen den Besuch ambulanter Behandlungseinrichtungen und gehen stattdessen zu Heilern, die in vielen Fällen ihre Probleme nur verschlimmern. Viele Frauen gehen nach Erkenntnissen Soendoros wieder vermehrt zu Hebammen vor Ort, anstatt ein Krankenhaus aufzusuchen. Krebs- und AIDS-Patienten können sich oft die kostspielige Behandlung nicht mehr leisten. Auch die Familienplanung haben viele aus Geldmangel eingestellt. Erste gesundheitliche Folgen der Krise zeigen sich bereits. In den ersten drei Monaten des Jahres zeigte sich nach Angaben Soendoros erstmals seit Jahren wieder eine Zunahme der Fälle von Tuberkulose. Die Entwicklung bezeichnete er als alarmierend, da die Zahlen in Indonesien in der Vergangenheit rückläufig waren. Auf den Philippinen führte die Devaluierung des Peso dazu, daß die Zielvorgaben für sechs Impfprogramme um bis zu 23 Prozent zurückgeschraubt werden mußten, erklärte Erlinda Capone, die Verantwortliche für Sozialentwicklung der "Nationalen Entwicklungs- und Wirtschaftsbehörde.
Ohne Geld ist Krise nicht zu bewältigen
Budgetkürzungen beim nationalen Ernährungsprogramm hätten zur Folge, daß die Zahl der Kinder zwischen 12 und 15 Monate, die in den Genuß des Programms kämen, um 436.090 sinke. Auch die Zahl der versorgten Schwangeren werde um 33 Prozent sinken. In Thailand hätten über 1,8 Millionen Arbeiter ihre Sozial- und damit Krankenversicherung verloren, erläuterte Jongkol Lertiendumrong, vom thailändischen "Forschungsinstitut für Gesundheitssysteme". Die Arbeitslosigkeit liegt bei 5,6 Prozent.
Viele Thai seien auf dem Weg zurück aufs Land und drohten dort die lokale Gesundheitsversorgung zu überlasten, fügte sie hinzu. Zugleich steigt die Zahl der Selbstmorde, was die Regierung dazu veranlaßt hat, eine spezielle Abteilung einzurichten, die sich mit psychischen Problemen beschäftigt. Ohne Hilfsgelder werde es aber nicht möglich sein, die Krise in den Griff zu bekommen, unterstrich Soendoro. Alleine Indonesien wird nach Schätzungen der Weltbank in den kommenden Monaten drei Milliarden US-Dollar für Nahrungsmittel und Medikamente für seine Bürger benötigen.
Tokio versucht nach Angaben von Beamten des japanischen Außenministeriums eine Schlüsselrolle bei der Überwindung von Gesundheitsrisiken einzunehmen, indem es betroffenen Ländern und Krankenhäusern mit Hilfsgütern und Medikamentenspenden beisteht. Auch die einheimischen Regierungen versuchen nach Expertenangaben ihr Bestes, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Die Philippinen haben mit Hilfe eines Weltbankdarlehens von 250 Millionen Dollar eine 25prozentige Pflichtreserve für die Sozialversorgung im Haushalt 1998 eingerichtet.
Erholung nicht in Sicht
Malaysia hat ein System zur Evaluierung sozialer Folgen entwickelt, das die Einhaltung von Gesetzen über Sozialentwicklung überwachen soll. Eine rasche Erholung der asiatischen Volkswirschaften sei nicht zu erwarten, warnen Experten, darum gelte es, sich auf die Grundlagen zu konzentrieren. "Die Wirtschaftskrise ist eine Herausforderung an die betroffenen Gesellschaften, das Fett, das sie in den Jahren des Wirtschaftswachstums angesetzt haben, abzubauen und zu den bescheidenen Lebensstandards zurückzukehren, die auf lange Sicht eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen werden", erklärte Jongkol.
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