Die Schilddrüse als hormonproduzierendes Organ verursacht bei Dysfunktionen multiple, allerdings leider sehr häufig untypische Symptome. Das Wissen um diese Tatsache scheint in der Bevölkerung bereits ziemlich weit verbreitet zu sein. Jedenfalls war kürzlich beim "Radio-Doktor-Tag" im Wiener Rathaus der Publikumsandrang zur Schilddrüsenuntersuchung beeindruckend. Allerdings wurde nur eine Sonografie mit Beratung durchgeführt, jedoch keine Hormonbestimmung.
Prim. Doz. Dr. Alois Kroiss, Abteilung für Nuklearmedizin, KA Rudolfstiftung, Wien, und sein Team stellten fest, daß das Parenchym der Schilddrüse bei zirka 80 Prozent der 230 untersuchten Personen ultraschallmorphologisch inhomogen zur Darstellung kam. Diese Inhomogenitäten waren nur zu einem geringen Prozentsatz Zystchen, die keine weitere Abklärung erfordern. Meistens zeigten sich Knoten unterschiedlichster Größe und Struktur. Aufgrund des Ultraschallbefundes wurde über 100 Patienten nahegelegt, einen Termin zur exakten Abklärung der Schilddrüsenfunktion inklusive Hormonbestimmung in einem Zentrum zu vereinbaren. Dr. Doris Tschabitscher, Abt. für Nuklearmedizin, KA Rudolfstiftung: "Zwei Patienten zeigten allerdings ein derart eindrucksvolles Bild, daß wir sofort, vom Rathaus aus, die Betreuung an unserer Ambulanz eingeleitet haben!"
*Dysfunktion der Gesundheitspolitik
Die Kapazität der Zentren steht aber offenbar in keinem Verhältnis zum Bedarf der Bevölkerung. Die großen Kassen honorieren eine relevante Diagnostik von Dysfunktionen der Thyreoidea bei niedergelassenen Spezialisten nicht. Damit bleiben diese Untersuchungen entgegen aller Meldungen über Entlastung der Spitalsambulanzen streng "hospitalisiert". Hyper- und Hypothyreotiker brauchen so gut wie nie eine Spitalsüberwachung, werden von den Nuklearmedizinern praktisch nie stationär betreut.
Resultat dieser Dysfunktion unserer Gesundheitspolitik ist eine signifikante Überlastung der Ambulanzen mit den daraus resultierenden Wartezeiten.
Bei hormonellen Störungen der Schilddrüse mit ihren typischen Symptomen sind die Patienten für die behandelnden Ärzten nicht leicht zu führen. Übernervös, tachykard, zittrig und emotional ist zum Beispiel Warten eine starke Belastung. Im anderen Extrem, antriebslos, schwerfällig und unmotiviert, ist die nötige Compliance schwer zu erreichen. Überfüllte Wartezimmer in einem weit entfernten Zentrum, nach wochenlanger Wartezeit auf den Termin, sind für beide Gruppen schwer erträglich.
*Haschisch ist einfacher zu bekommen
Aber diese Fakten der Gesundheitspolitik sind nicht die einzigen Strafen für Schilddrüsendysfunktionen: Als Hyperthyreose-Patient soll man Jod meiden - nicht so einfach bei jodiertem Vollsalz. Der noch ungeschulte Patient glaubt, irgendwo muß man doch unjodiertes Salz kaufen können, wenn schon nicht im Supermarkt, dann noch sicher in Drogerien oder gar in Apotheken.
Eingehende Recherchen waren erfolglos: In ganz Wien ist kein Salz ohne Jodbeigabe zu finden. Erst ein Anruf bei den Salinen Austria direkt brachte des Rätsels Lösung: Es ist in Österreich per Gesetz verboten, nicht jodiertes Salz auszustellen! Die freundliche und sehr hilfsbereite Dame am Telefon verriet, daß zum Beispiel die Firmen ADEG und METRO dieses Produkt haben, es wird allerdings nur auf Verlangen, in den meisten Fällen vom Geschäftsführer, ausgegeben. Nicht jodiertes Salz wird also unter dem Ladentisch verkauft wie Pornohefte. Es ist wahrscheinlich einfacher, an Haschisch zu kommen.
*Therapieren oder nicht?
Mit dem Aufspüren von unjodiertem Salz ist eine der häufigsten Fragen am Radio-Doktor-Tag geklärt. Ein weiteres Hauptanliegen war die Frage "Therapie oder nicht?" bei für Laien nicht ganz eindeutigen Hormonwerten, zum Beispiel T3 und T4 im Normbereich, TSH leicht erhöht. Tschabitscher bezieht klar Stellung: "Grundsätzlich sind Patienten mit latenter Hypothyreose zu therapieren, sprich: man sollte die Hormone substituieren. Speziell bei jungen Patientinnen, möglicherweise mit unerfülltem Kinderwunsch, kann diese Therapie zu erfreulichen Überraschungen führen: Bei 30 Prozent des beobachteten Klientels kam es zur Konzeption." Einzige Ausnahme sind Patienten über 80 Jahre mit manifester koronarer Herzkrankheit. Hier ist die Hormonsubstitution ähnlich vorsichtig durchzuführen wie eine etwaige Blutdrucksenkung.
Nach den Erfahrungen Tschabitschers ist eine latente Hypothyreose in Österreich ein Hinweis auf eine Synthesestörung. Denn eine echte Jod-Mangel-Hypothyreose ist bei den heutigen Ernährungsgewohnheiten, u.a. mit dem unvermeidbaren jodierten Vollsalz, höchst unwahrscheinlich. Gerade in modernen Lebensmitteln wie Eistee und Kiwi findet sich reichlich Jod, ohne daß der Konsument sich dessen bewußt wird. Erst eine manifeste Hyperthyreose führt in die Ambulanz, wo die "schwarze Liste" der zu vermeidenden Lebensmittel für Überraschungen sorgt.
© medizin.at / ÄRZTEWOCHE