Europäische Kardiologen wollen in Zukunft in das Schicksal ihrer Herzpatienten früher als bisher "gestaltend" eingreifen. Einige richtungsweisende Initiativen zur praktischen Umsetzung dieses Vorhabens präsentierte die European Society of Cardiology auf ihrer 20. Jahrestagung Ende August 1998 in Wien. Vorgestellt wurden das "European Heart Network", die Aktion "Prevention of Coronary Heart Disease in Clinical Practice" sowie das Projekt "Vorbeugen ist besser als Nachsorge".
*EU-Kompetenzen
"Hintergrund des 'European Heart Network' ist die 1993 im Rahmen des Vertrages von Maastricht erfolgte Übernahme volksgesundheitlicher Kompetenzen durch die EU", berichtete Dr. S. Logstrup, Brüssel. Diese EU-Kompetenzen betreffen Krankheiten mit besonderer Allgemeingefährdung oder solche mit praktikablen Interventions- und Präventionsmöglichkeiten, aber auch Leiden mit bedeutenden Auswirkungen auf Lebensqualität und Sozioökonomie.
Im Gegensatz zu Krebs, Unfallverhütung, Gesundheitserziehung, AIDS, Gesundheits-überwachung und Drogenkonsum sind kardiovaskuläre Erkrankungen davon bisher jedoch ausgenommen. Dabei erfüllen sie zweifellos die oben genannten "Einschlußkriterien". Immerhin geht die Hälfte aller Todesfälle auf das Konto ischämischer kardialer Ereignisse.
*Europäisches Netzwerk
Entsprechend scharf kritisierte Dr. P. Stiggelbout, Den Haag, den status quo: "In den Gremien der EU in Brüssel herrschen Inkompetenz und Wissenslücken. Es ist unser aller Aufgabe, die Politiker allerorts wachzurütteln und ihnen die enorme volksgesundheitliche, individuelle und sozioökonomische Bedeutung von ischämischen Herzkrankheiten klar zu machen."
Das "European Heart Network" soll jetzt in einer ersten Phase multidisziplinäre Allianzen bilden und hochqualitative Informationen über alle Aspekte der ischämischen Herzkrankheiten sammeln. In der zweiten Phase, die am 14.2.2000, dem "European All Hearts Day", beginnen wird, sollen kreative Botschaften und Kampagnen das öffentliche Interesse auf das Herz fokussieren. In der dritten Phase schließlich werden Zielgruppen-orientierte Gesundheitsprogramme anlaufen, die im wesentlichen sinnvolle und praktikable Lebensstil-Modifikationen zum Inhalt haben. Insbesondere sollen auch Mitarbeiter im Gesundheitsbereich, wie Ärzte, Ordinationshilfen und Pflegepersonal, individuell bei den Änderungen ihres persönlichen Lebensstils unterstützt werden - in der Hoffnung diese Mitarbeiter als besonders motivierte Multiplikatoren zu gewinnen.
Prof. Dr. David A. Wood, London, einer der Gründungsmitglieder des "European Heart Network", sieht die Rolle des Kardiologen dabei auf den Gebieten Forschung, Ausbildung, klinische Dienstleistung und Volksgesundheit. Die praktische Umsetzung der Netzwerk-Ziele bedürfe jedoch einer kongenialen Zusammenarbeit von kardiologischen Gesellschaften, Herzfonds, öffentlichen und privaten Institutionen sowie auch Patientenorganisationen.
Als besonders geglückten Ansatzpunkt bezeichnete Wood die aktuelle Zusammenfassung der Empfehlungen der "Second Joint Task Force of European and other Societies on Coronary Prevention". Diese Empfehlungen richten sich einerseits an Patienten mit etablierter koronarer Herzkrankheit oder einer anderen atherosklerotisch bedingten Krankheit, andererseits an kardiovaskuläre Hochrisikopatienten und an Blutsverwandte von Patienten mit frühzeitigen atherosklerotischen Komplikationen. Einfache Tabellen ermöglichen es, geschlechtsspezifisch für Nichtraucher, Raucher und Diabetiker anhand einer "Coronary Risk Chart" das individuelle KHK-Risiko zu bestimmen. Dieses Risiko wird angegeben durch die prozentuelle Wahrscheinlichkeit, mit welcher innerhalb der nächsten zehn Jahre ein klinisch relevantes kardiales Ereignis eintreten wird.
*Empfehlungen zur Risikoreduktion
Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit oder einer anderen atherosklerotischen Krankheit sowie Patienten mit einem 10-Jahres-KHK-Ereignisrisiko von über 20 Prozent erhalten im Rahmen dieser Initiative praktische Empfehlungen, wie sie ihre persönlichen Risikofaktoren sinnvoll modifizieren können. So sollte ein Blutdruck von unter 140/90 mmHg erzielt werden, ein Gesamtcholesterin von unter 190 mg/dl und ein LDL-Cholesterin von unter 115 mg/dl. Der immer mehr an Bedeutung gewinnende kardiovaskuläre Schutzfaktor HDL sollte über 40 mg/dl betragen.
Ausgewählte Patienten sollten zudem eine prophylaktische medikamentöse Therapie mit zumindest 75 mg Aspirin täglich erhalten, Patienten nach Myokardinfarkt einen Betablocker und Patienten mit Herzinsuffizienz oder einer linksventrikulären Auswurfleistung unter 40 Prozent einen ACE-Hemmer.
Moderne Statine sind in der Lage, bei diätetisch unzureichender Lipidsenkung hilfreich und gut verträglich einzugreifen, also Cholesterin und LDL-Cholesterin signifikant zu senken und zusätzlich günstige Einflüsse auf Triglyzeride, HDL und die endotheliale Dysfunktion zu haben.
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