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Gewalt in den Medien

07.10.1999

Nein! Seitenlang ist die Keilerei in Erich Kästners "fliegendem Klassenzimmer" ausgemalt. Das Geschehen spielt in den 30er Jahren. Schon damals galt: Kinder behaupten sich untereinander in Machtkämpfen und reagieren ihre Frustrationen grausam aneinanader ab. Leider. Früher war es aber offensichtlich nicht viel besser. Wie schnell man die Höllenqualen der ach so glücklichen Jahre vergißt, auch das hat Kästner beschrieben: "Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut."

Das soll nicht verharmlosen, aber doch in Proportionen setzen, was erst kürzlich mal wieder süffige Schlagzeilen bot: "90 Prozent der Eltern schlagen ihre Kinder". So war es fast in allen Medien zu lesen. Unerwähnt blieb, daß sich die Zahlen auf eine neun Jahre alte Studie bezogen.

Ob tatsächlich Gewalt von Jugendlichen zunimmt, steht auf wackligen Fakten-Füßen. Zugenommen hat in jedem Fall deren mediale Ausschlachtung. Jedes Opfer bietet, gerade für einschlägige Zeitungen, Gelegenheit für delektierendes Entsetzen. Und wenn jedes Gewaltverbrechen ausgiebig im wahrsten Sinne ausgeschlachtet wird, kann sich bald jenes wohl doch etwas verzerrte Bild aufbauen, daß bei uns bereits in jeder Familie und in jedem Pausenhof die brutale Gewalt regiert.

Apropos Medien: Gerne wird den Gewaltdarstellungen im Fernsehen alle Schuld in die Schuhe geworfen. Macht man es sich da nicht auch zu einfach? Es sollte zu denken geben, daß noch vor gar nicht so langer Zeit ein anderes vermeintliches Übel am Pranger stand: das Lesen. Im 18. Jahrhundert wurde ernsthaft vor dessen Körper wie Seele von jungen Menschen zerstörender Macht gewarnt. Die Literatur als Droge, die den Lesenden in realitätsenthobene Wahn- und Wunschvorstellungen entführe. Ein Menetekel, das sich in Luft aufgelöst hat.

© medizin.at / ÄRZTEWOCHE

 

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