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Ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte

07.10.1999

Genaue Statistiken fehlen, aber daß es sie bei uns gibt, stellt keiner ernsthaft in Frage: die Sterilisation geistig Behinderter. Offen ist nur, in welchem Ausmaß. Einige Mediziner, wie beispielsweise der Kinderpsychiater Prof. Rett, bekannten sich immer offen zu dieser Praxis - fest davon überzeugt, zum Wohl der Betroffenen zu handeln.

Allerdings: Wissen nicht auch diese Patienten selber am besten Bescheid über ihre Wünsche? Wie sieht die rechtliche Regelung aus? Gibt es so etwas wie ein Menschenrecht auf Fruchtbarkeit? Ein vielschichtiges Problem, das auf Einladung des "Zentrums für Medizinrecht", wissenschaftliche Leitung: Prof. DDr. Christian Kopetzki, namhafte Vertreter aus Medizin und Recht Ende April in Wien diskutierten. Auch heute würde, wie in der NS-Zeit, die Sterilisation von geistig Behinderten noch allgemein auf große Zustimmung treffen, davon ist Prof. Dr. Richard Potz, Institut für Kirchenrecht, Universität Wien, überzeugt, wenn er auch über keine konkreten Zahlen verfüge. Und er mahnte: "Wir dürfen das Feld nicht den Vereinfachern überlassen."

*Entschiedener Gegner Als entschiedener Gegner der Sterilisationspraxis bei Behinderten deklarierte sich Dr. Ernst Berger, Neurologisches Krankenhaus Rosenhügel, Wien. Zwei wichtige Erfahrungen hätten ihn zu dieser Überzeugung gebracht. Einmal die Durchsicht von medizinischen Gutachten aus jüngster Zeit, die ihn geradewegs an die "Erbgesund- heitsakten" aus der NS-Zeit erinnert und "mit wahrem Schrecken erfüllt" hätten. Zum anderen die unmittelbare Erfahrung, daß die Sterilisation bei Behinderten durchaus eine große Belastung für diese bedeute und oft zu schweren psychischen Krisen führe. "Von dieser Belastung ist aber nie die Rede", so Berger.

Der Neurologe gab auch zu bedenken, daß die Psychiatrie heute noch über kein Instrumentarium verfüge, um seriöse Entwicklungsprognosen für Behinderte zu erstellen, höchstens für Schwerbehinderte. Die Möglichkeit einer Besserung werde also mit einem so definitiven Eingriff wie der Sterilisation nicht berücksichtigt. "Die operative Maßnahme zur Unfruchtbarmachung ist", so Prof. Dr. Erwin Bernat, Institut für bürgerliches Recht, Universität Graz, "ein schwerer körperlicher Eingriff." Ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Menschen. Vorgenommen werden darf er nur, wenn ein ausreichender Rechtfertigungsgrund vorliegt. Wenn er etwa einer Heilbehandlung dient. Oder wenn andere Belastungen die der Sterilisation eindeutig überwiegen. Oder wenn "gelindere" Alternativen nicht bestehen.

Entscheidend ist, wie bei jeder medizinischen Behandlung, grundsätzlich die Zustimmung des Patienten. Seine autonome Entscheidung zählt, er kann jederzeit von seinem Veto-Recht Gebrauch machen.

*Unklare Gesetzeslage Die Sterilisation findet im Gesetzbuch in einem einzigen Paragraphen direkt Erwähnung, im 90 des Strafgesetzbuches, wo als Mindestalter der Frau 25 Jahre vorgeschrieben ist. Die Regelung betrifft allerdings nur den "urteils- und einsichtsfähigen" Menschen. Das Gesetz berücksichtigt nicht den geistig oder psychisch Kranken, der aufgrund seiner Behinderung nicht zu einer Einwilligung fähig ist. Dürfen in diesem Fall Eltern oder der zuständige Sachwalter als Stellvertreter eine Sterilisation anordnen? Oder darf der Arzt überhaupt eigenverantwortlich handeln? Die Frage bewegt sich in einer rechtlichen Grauzone. Kein Gesetz gibt darüber bislang eindeutig Auskunft.

Der Gesetzgeber sieht nun sogenannten Handlungsbedarf. Dr. Johann Weitzenböck vom Bundesministerium für Justiz erklärte, daß an einer neuen gesetzlichen Regelung gearbeitet wird, die im Frühjahr nächsten Jahres in Kraft treten soll. Und zwar will man grundsätzlich weg von dem "kurativen Ansatz" in der Behindertenbetreuung. Weizenböck: "In einer neuen Regelung wollen wir die verbliebene Kompetenz des geistig Kranken so weit wie möglich berücksichtigen. Schließlich weiß er am besten Bescheid über seine Wünsche."

© medizin.at / ÄRZTEWOCHE

 

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