Warum können manche Kinder früher lesen und sich besser artikulieren? Warum halten manche Jugendliche dem Alltags- und Gruppendruck stand, während andere eher in Schwierigkeiten geraten? Was bindet Familien aneinander? Wissenschafter haben nun einen gemeinsamen Nenner gefunden - den Tisch.
Die Forscher der Penn State University verglichen die Daten von hundert Studenten aus Familien, die gewöhnlich gemeinsam aßen, mit gleich vielen, die dies selten taten. Sie fanden heraus, daß Kinder, deren Familien sich bei Tisch unterhielten, früher ein umfassenderes Vokabular entwickelten.
Auch konnten sie hervorragend Realsituationen kommunizieren (im Gegensatz zu z.B. Cartoon-artigen Situationsbeschreibungen), sich früher besser artikulieren und erzielten in standardisierten Lese- und Sprachtests deutlich bessere Leistungen.
Beide Gruppen umfassten Kinder aus verschiedenen sozialen, wirtschaftlichen und ethischen Schichten - auch der Bildungsgrad der Eltern war unterschiedlich. Diese Faktoren hatten keine Auswirkung auf die „Lesefähigkeit“ der Kinder. Der einzige Unterschied war die Gewohnheit der Familien, ihre Mahlzeiten - vornehmlich das Abendessen - gemeinsam oder getrennt einzunehmen.
Gemeinsam essen bindet
Familien, die sich regelmäßig bei Tisch zusammenfinden, haben einen stärkeren
Zusammenhalt und sind einträchtiger. Für Kinder bedeutet das eine hohe Gruppenbindung und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl. Forscher wiesen auch nach, daß Familien, die sich bei Tisch unterhalten, eine größere Zuneigung zueinander entwickeln.
Deren Kinder respektieren Erwachsene eher und kommen besser mit ihnen aus. Geschwister aus Familien, die miteinander essen, bleiben einander auch stärker verbunden, nachdem sie - herangewachsen - das Elternhaus verlassen haben. "Als größter Einzelfaktor für diese Benefite hat sich die Anwesenheit eines Vaters erwiesen", fügt Dr. Howard Baker jr., Psychologe aus Oregon, Salem (USA) hinzu.
Gemeinsam essen bildet
Über die Jahrzehnte haben „Erzieher“ versucht, die Faktoren zu finden, die Kinder zu guten Lesern machen. Die heute allgemein akzeptierten Gründe sind: gute Ernährung in der frühen Kindheit, lautes Vorlesen während der Kindheit und zuhause ein Überfluß an Lesbarem. Kinder beobachten die Eltern beim Lesen und ahmen sie nach.
Gemeinsam essen festigt
Die jüngste Studie, die sich mit den Auswirkungen der Eßgewohnheiten auf
das Verhalten der Kinder beschäftiget, wurde nun auf dem Treffen der „American
Psychological Association“ von den Psychologen Blake Sperry Boden („Cincinnati Children's Hospital Medical Center“) und Jennie M. Zeiß von der „DePaul University“ vorgestellt.
Sie betrachtete die Faktoren, die für Anpassung und die Fähigkeit, sich „aus Schwierigkeiten herauszuhalten“, verantwortlich waren. Anpassung wurde definiert als: geringere Bereitschaft, Drogen zu nehmen, geringere Anfälligkeit für Depressionen, mehr Motivation in der Schule und gute Sozialkontakte in der geleichen Altersgruppe.
Auch hier zeigte sich dieselbe signifikante Gemeinsamkeit: Kinder, deren Anpassungsfähigkeit hoch war, aßen durchschnittlich 5 mal pro Woche mit der
Familie - Kinder, die öfter mit Problemen konfrontiert waren, hatten dazu höchstens 3 mal Gelegenheit.
Boden und Zeiß sagen dazu, daß sie "zwar derzeit nicht lokalisieren können, was genau an den gemeinsamen Essen ausschlaggebend ist ... es scheint jedoch klar zu sein, daß die Familienessen eine bedeutende Rolle in der Bewältigung des Alltagsdruckes spielen.
Gemeinsam essen fördert
Das Penn State Team entwarf nun ein Förderungskonzept: Alle Famillienmitglieder essen am selben Tisch, es wird weder auf dem Sofa vor dem Fernseher noch abgesondert in einem anderen Raum gegessen. Fernseher und Radio bleiben auch ausgeschaltet, um die Konversation ebenso zu einem zentralen Faktor zu machen wie das Essen.
Diese Reorientierung werde sich gerade auf die jüngeren Familienmitglieder positiv auswirken, meinen die Wissenschafter.
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