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Der "Schwarze Tod" führte zum größten Massensterben in Europa

07.10.1999

Heute sind es in Wien Touristenattraktionen, die beiden steinernen Zeugen, die an das große Sterben erinnern, an die schreckliche Pest-Epidemie: die Pestseule am Graben und die Karlskirche, beide als Dank zum Abklingen der Pest errichtet, die erste im Oktober 1679, die andere im Jahr 1713.

Die Seuche brach, aus dem Osten kommend, erstmals in der Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa aus. Sie kam wie ein Verhängnis über die Menschen. Dieses Gefühl mußten jedenfalls die Einwohner haben, die der Pest wehrlos ausgeliefert waren. Noch war die Bakteriologie nicht begründet. Der Mechanismus der Übertragung war unbekannt, geeignete Vorsichts- oder Gegenmaßnahmen konnten nicht getroffen werden. Es sollte bis ins Jahr 1894 dauern, daß zwei Ärzte unabhängig voneinander den Erreger der Pest entdeckten: in Hongkong ein gebürtiger Schweizer, Alexandre Yersin, und ein Japaner namens Shibasaburo Kitasato. Das Pestbakterium wurde zunächst als Pasteurella pestis bezeichnet, seit 1971 als Yersinia pestis.

*Die Juden wurden zum Sündenbock gemacht Nicht weniger als 30 Prozent der europäischen Bevölkerung raffte die Pest im 14. Jahrhundert hinweg. Das größte Massensterben in der europäischen Geschichte. Man spricht auch von dem "Schwarzen Tod". Eine lähmende Angst beherrschte die Menschen. Wen würde die Krankheit als nächstes treffen? Viele sahen überhaupt schon das Ende der Welt gekommen. "Die Ängste, die die Menschen damals beherrschten, waren elementar", schreibt Manfred Vasold in seinem Werk "Pest, Not und schwere Plagen" (Verlag C.H. Beck, 1991).

Wo kein gesichertes Wissen über die Infektionskrankheit bestand, vielmehr allgemeine Unsicherheit und Verunsicherung vorherrschten, da konnte das Vorurteil triumphieren. Ein Sündenbock war bald ausgemacht: die Juden. Ihnen wurde zur Last gelegt, Brunnen und Quellen vergiftet zu haben. Hans Wilderotter schreibt in "Das große Sterben" (Jovis Verlag, 1995): "Dieses Gerücht war in einigen Städten Südfrankreichs und Nordspaniens entstanden, wo im Sommer des Jahres 1348 Juden umgebracht worden waren, nachdem sie unter der Folter ausgesagt hatten, im Rahmen einer weltweiten jüdischen Verschwörung mit Gift gefüllte Leder- und Leinensäckchen in Quellen und Brunnen geworfen zu haben." Der Anfang der Juden-Pogrome. Ein weiteres Massenphänomen jener Zeit, das von Ungarn und Österreich ausging und sich bald nach Westeuropa ausbreitete, waren die Umzüge der Geißler: In Kutten gehüllt, die Mönchsgewändern ähnelten, vollzogen die Teilnehmer dieser zu Massenzügen anschwellenden Scharen öffentliche Bußübungen, deren blutiger Höhepunkt Selbstgeißelungen waren.

Mit diesem Akt wollten sie die Seuche abwenden, durch ihre Buße Gottes Zorn besänftigen. Dahinter stand der Gedanke, daß Gott mit der Pest die Menschen für ihre Sünden bestrafen wollte, und daß die einzige Rettung in besonders intensiver Reue bestünde. Gift und Gott, zwischen diesen beiden Extremen oszillierte die Meinung in der Bevölkerung über die Ursache der Pest. Und was sagten die Mediziner?

*Ärzte machten Gestirne verantwortlich Hier muß vorausgeschickt werden, daß der Stand der Heilkunst im 14. Jahrhundert niedrig war, es hatte seit der Antike kaum einen Fortschritt gegeben. Die Medizin war als Wissenschaft und praktische Kunst noch wenig entwickelt. Dementsprechend gering war das Ansehen der Ärzte. Für die Pest machten die Ärzte am häufigsten die Gestirne verantwortlich, nämlich eine Konjunktion der drei oberen Planeten Saturn, Jupiter und Mars. Wilderotter: "Diese Begründung erhält ihren Sinn im Rahmen der Humoralpathologie, die auf antike Anfänge zurückgeht und seit den Theorien Galens im zweiten Jhd. n. Chr. ihre für das Mittelalter gültige Formulierung erfahren hatte."

Harnschau und Pulsmessung waren die wichtigsten diagnostischen Maßnahmen der Ärzte, der Aderlaß ihr am häufigsten angewandtes therapeutisches Mittel. Die Ärzte konnten die Pestbeulen öffnen und dafür sorgen, daß der Eiter abfloß. Doch diese Maßnahmen zusammen mit diätetischen Anweisungen und verordneten Verhaltensregeln mußten solange wenig überzeugend bleiben, als sie zu keiner wirklichen Heilung führten. Eine Maske mit einem 15 cm langen Schnabel, in die Riechstoffe gefüllt wurden, dazu eine Brille mit Kristallgläsern, die vor der vermuteten Ansteckung durch Blickkontakt Schutz versprachen - auf diese Weise begann sich der Arzt im 17. Jahrhundert zu schützen. Sein Aussehen erinnerte etwas an einen Raben und war nicht gerade förderlich für sein Ansehen in der Bevölkerung. Das Wort vom "Schnabel-Doktor" kam auf.

*Isolierung der Kranken in Pesthäusern Im 15. Jahrhundert begann man in Mitteleuropa die Pest als eine in regelmäßigen Abständen von etwa zehn Jahren wiederkehrende Erscheinung zu begreifen. Die Staaten und Städte gingen daran, sich zur Wehr zu setzen. Sie lösten ein ganzes Bündel von Maßnahmen aus, die in der Regel bis ins 19. Jahrhundert angewendet wurden. Diese zielten darauf ab, diejenigen, die bereits infiziert waren, von denjenigen zu isolieren, die das noch nicht waren. Die Kranken wurden in Pesthäusern oder, wenn es die nicht gab, in ihren eigenen Häusern eingeschlossen. Wilderotter: "Die Häuser, in denen ein Todesfall vorkam, wurden drei bis vier Wochen gesperrt und vor der Öffnung ausgeräuchert und mit Essigwasser ausgewaschen. Die Kleidungsstücke und Gegenstände, die der Tote getragen hatte oder mit denen er in Berührung gekommen war, wurden entweder einer Reinigungs- oder Räucherprozedur unterzogen oder verbrannt." Die Toten wurden zur Bestattung in Massengräbern auf Karren weggeschafft.

Wohlgemerkt, der Erreger der Infektionskrankheit war noch nicht gefunden. Noch war man auf Vermutungen angewiesen. Doch einzelne Behörden blieben nicht untätig. Sie erließen Bestimmungen zur Reinhaltung des Wassers, sprachen Versammlungsverbote aus oder ließen Fremde nicht in ihre Stadt. Konnte ja sein, daß gerade sie Träger des gefürchteten Pesterregers waren. Die Pest: eine Krankheit mit weitreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen.

Mit der Entdeckung des Erregers der Pest Ende des 19. Jahrhunderts konnte die Medizin wirkungsvollere Vorbeugemaßnahmen und spezifische Behandlungsmethoden ent-wickeln. Die Medizin trat, vor allem durch die Bakteriologie, in ihr wissenschaftliches Zeitalter ein. Der Einfluß und die Bedeutung der Ärzte nahm zu. Der französische Philosoph Michel Foucault spricht in diesem Zusammenhang von der "Medikalisierung" der Gesellschaft. Staatliche und kommunale Stellen führten Gesundheitsreformen durch, sorgten für eine bessere Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser und eine wirksame Abfallbeseitigung und erließen Gesetze, um die Ausbreitung von Epidemien zu kontrollieren. Alles Maßnahmen, von denen wir heute noch profitieren.

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