Ein Mann hat keine Probleme, hält durch - so das Klischee. "Frauen besprechen viel offener Schwierigkeiten in Beruf, Familie und der Beziehung", sagt Dr. Josef Hüpf, der einige Jahre Facharzt für Psychiatrie war und nun als Psychotherapeut unter anderem in der Linzer Männerberatung tätig ist. "Männer schlucken viel hinunter, wollen oft um jeden Preis durchhalten, ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen und so eigenes Scheitern einzugestehen."
Die Männerberatung in Linz bietet Unterstützung im Umgang mit sich selbst. Sie ist der Familientherapeutischen Beratungsstelle des Landes Oberösterreich angeschlossen. Eine Orientierung beim Aufbau erfolgte an Modellen in der Schweiz und in Deutschland. Ein Vorbild ist die Beratungsstelle "Männer gegen Männergewalt" in Hamburg. Pro Jahr frequentieren über 500 Männer freiwillig diese Einrichtung, also ohne Gerichtsbeschluß oder Eingreifen der Polizei.
*Signale oft zu spät erkannt
"Offensichtlich warten Männer auf solche Angebote", so Mag. Dr. Eduard Waidhofer, Psychologe und Psychotherapeut und Leiter der Linzer Beratungsstelle, wo ebenso das Thema Gewalt den Schwerpunkt bildet. Geboten wird die Vermittlung von Männergruppen und -workshops, kostenlose Therapie sowie Telefonberatung. Zielgruppe sind Männer, die eigeninitiativ das Angebot annehmen, aber auch jene, die Gewalt angedroht oder ausgeführt haben oder z.B. durch das neue Wegweiserecht von Zuhause ferngehalten werden. Geplant ist auch die Betreuung männlicher Jugendlicher, beispielsweise in Schulprojekten.
"Männer, die sich anmelden, stecken oft schon tief in der Krise: eine Scheidung steht unmittelbar bevor, die Lebensgefährtin ist ausgezogen usw.", erzählt Waidhofer. "Signale, die von der Familie oder der Ehefrau ausgehen, werden oft zu spät wahrgenommen oder hartnäckig ignoriert. Kommt es zur Krise, sind Männer oft völlig überrascht." Gezielte Beratung soll Männer sensibilisieren, sich selbst und den Partner besser kennenzulernen, auf Signale entsprechend einzugehen und so "ein höheres Verantwortungsbewußtsein für Beziehungen zu entwickeln", ergänzt der Psychiater Hüpf. Belastungen im Arbeitsbereich erforderten eine Schulung der Selbstwahrnehmung. In der Öffentlichkeitsarbeit für die Männerberatung kommt Ärzten und Arztpraxen eine wichtige Funktion zu.
*Selbstwahrnehmung sensibilisieren
"Ärzte können viel wahrnehmen, was in Familien abläuft, wie sich berufliche Veränderungen oder Belastungen auswirken, ob es bei Krisen zu Gewalttaten kommt", analysiert Waidhofer. Dem Arzt böten sich mehrere Ansatzpunkte, um Veränderungen zu erkennen. "Leider fehlt oft die Zeit, darauf einzugehen", bedauert Hüpf. Mit ein Grund dafür sind die belastenden Rahmenbedingungen mit vollen Praxen und Limitierungen bei der Bezahlung.
"Mundpropaganda für die Männerberatung funktioniert nur in Ausnahmefällen, da sie selten über ihre Probleme reden", erklärt der Psychiater. "Und wenn sie es tun, haben sie meist schon eine Lösung parat." Deshalb müßten Männer direkt oder über Medien für die Inanspruchnahme einer Beratung sensibilisiert werden.
Männer begehen dreimal häufiger Selbstmord als Frauen, sind häufiger alkoholabhängig, arbeitssüchtig, anfälliger für Herzinfarkt und häufiger chronisch krank. Sie nehmen medizinische Hilfe eher spät in Anspruch, liegen dann aber länger im Spital. "Männer, die gelernt haben, sich selbst besser wahrzunehmen, leben gesünder", betont Waidhofer. Darin liege die große Herausforderung der Männerberatung.
© medizin.at / ÄRZTEWOCHE