Medizin zwischen Ethik und Effizienz
Die Probleme im Gesundheitswesen gleichen sich weltweit: Medizinischer Fortschritt, verlängerte Lebenserwartung und die Zunahme chronisch-degenerativer Leiden erzeugen steigende Kosten, die wiederum knappen Ressourcen gegenüberstehen. Die Frage der Rationierung steht im Raum und wird von der Politik gerne vom Tisch gefegt.
Neue Konzepte
Dennoch wird die Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Bevölkerung in Zukunft nicht ohne neue Konzepte auskommen. Der Status quo stand im Mittelpunkt des Kongresses "Public Health - Entwicklungen und Potentiale", der vom 6. bis 8. Oktober 1999 in Freiburg stattfand. 1.300 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren präsent.
Aus den Vereinigten Staaten schwappt eine Vielzahl neuer Konzepte nach Europa, die Lösungen versprechen: Evidence Based Medicine, Managed Care, Disease Management und Qualitätssicherung sind einige Beispiele, die derzeit bei den Gesundheitswissenschaftern hoch im Kurs stehen.
Ihre Anwendbarkeit auf nationale Systeme war eine entscheidende Frage des Freiburger Kongresses, in dessen Rahmen mehr als 40 Workshops und 650 Einzelbeiträge und Präsentationen von Forschungsergebnissen abgehalten wurden. Organisatoren waren die Deutsche Gesellschaft für Public Health (DGPH) in Kooperation mit der Schweizerischen Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen (SGPG) und der Österreichischen Gesellschaft für Gesundheitswissenschaften und Public Health (ÖGGW&PH).
Die Strukturveränderungen im Gesundheitswesen stellen Mediziner und Gesundheitswissenschafter zunehmend vor neue Herausforderungen und verlangen neue Kenntnisse. Public Health umfaßt als multidisziplinäre Wissenschaft neben der Sozialmedizin auch andere Bereiche, wie Gesundheitsökonomie, Epidemiologie, Gesundheitsmanagement, Medizinsoziologie, -psychologie und Gesundheitsförderung.
In Deutschland hat in den vergangenen 15 Jahren - gefördert durch ein Forschungsprogramm der Bundesregierung eine außerordentlich dynamische Ent-wicklung im Bereich der Public Health stattgefunden.
Zehn Universitäten engagieren sich in diesem Feld der Wissenschaft, eine School of Public Health und neun universitäre postgraduale Studiengänge sowie mehr als 190 weitere Studienangebote an Fachhochschulen und Universitäten wurden eingerichtet. Die Absolventen, nach wie vor in der Mehrheit Mediziner, sind gefragt: Organisationen und Verwaltungseinrichtungen des Gesundheitswesens greifen gerne bei der Lösung komplexer Steuerungsprobleme auf sie zurück.
Rationierung
Neben gesundheitspolitischen und sozialwissenschaftlichen Theorien geht es in der Public Health Forschung auch oft um Fragen der ärztlichen Praxis. So wurde beispielsweise im Rahmen einer Untersuchung festgestellt, daß nur 20 Prozent der Patienten von ihrem Hausarzt ein Rezept erwarten, aber 50 Prozent damit aus der Praxis gehen.
"Wir müssen den einzelnen Arzt von unseren Konzepten überzeugen, wenn Public Health erfolgreich sein will", sagte Prof. Dr. Karl Lauterbach, Gesundheitsökonom aus Köln, beim Freiburger Kongreß. Ärzte müßten darüber hinaus auch verstärkt Anreize erhalten, um - im Gesamtsystem betrachtet - sinnvoll zu handeln. Für Lauterbach ist im "Zeitalter der Rationierung" der Ausgleich zwischen der gleichzeitig bestehenden Über- und Unterversorgung im Gesundheitswesen ein Gebot der Stunde.
"Wir müssen intensiv nach Reserven in der medizinischen Überversorgung suchen und sie auflösen. Sonst kommt es zu einer unethischen Form der Rationierung, die wir unbedingt verhindern müssen", warnt der Gesundheitsökonom. In Österreich besteht in Sachen Public Health noch großer Nachholbedarf. "Wir können hier leider nicht an die große österreichische Tradition der Sozialmedizin anknüpfen", bedauert der Präsident der ÖGGW & PH, DDr. Oskar Meggeneder: "Es gibt bei uns keine postgraduale Public Health Ausbildung - dabei wären Ärzte mit dieser Zusatzausbildung ein großer Gewinn für unser Gesundheitswesen."
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