Chemischer Trick gibt neue Einblicke in die Logistik der Zelle
Max-Planck-Wissenschaftlern entschlüsseln mit Hilfe halbsynthetischer Proteine, wie Zellen Rab-Transportproteine "recycelt".
Zellen von Pflanzen, Tieren und Menschen beherbergen eine Vielzahl
abgeschlossener Räume (Kompartimente) bzw. Organellen, zwischen denen
permanent ein hohes "Verkehrsaufkommen" zu bewältigen ist. Eine wichtige
Gruppe unter den "Verkehrslotsen" in diesen Zellen sind die so genannten
Rab/Ypt-Guanosin-Triphosphatasen (GTPasen), deren Funktion durch ein
spezielles Inhibitor-Protein (RabGDI) gesteuert wird.
Doch wie diese Verkehrsregelung und -sortierung in der Zelle im Detail funktioniert, war bisher nicht bekannt, da die Aufklärung der atomaren Struktur der
beteiligten Proteine an technischen Problemen scheiterte.
Jetzt ist es
Wissenschaftlern des Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in
Dortmund dank einer trickreichen Kombination aus chemischer Synthese und
Protein-Engineering gelungen, den dabei entstehenden Proteinkomplex
(Ypt1:RabGDI) "in Aktion" herzustellen, zu kristallisieren und seine atomare
Struktur mit einer Auflösung von 1,5 Angstrom zu bestimmen. Dank der nun
vorliegenden Struktur ist auch klar, warum eine Mutante des
Inhibitor-Proteins zu einer Form von geistiger Retardierung beim Menschen
führt (Science, 24. Oktober 2003).
Die Zellen von Eukaryonten (Tiere, Pflanzen, u.a.) unterscheiden sich von
Prokaryonten (Bakterien, Blaualgen und Mykoplasmen) unter anderem dadurch,
dass sie in ihrem Inneren weitere, durch eine Membranhülle vom übrigen
Zellraum abgegrenzte Kompartimente, wie z.B. einen Zellkern oder ein
Mitochondrium, besitzen.
Der Stoffaustausch zwischen diesen Kompartimenten
erfolgt sehr gerichtet und koordiniert über den mehrstufigen Transport in
Vesikeln. Eine wichtige Untergruppe jener Proteine, die zu diesem
Transportsystem gehören, sind die GTP-bindenden Rab-Proteine (in Hefe:
Ypt-Proteine), die in fast allen Kompartimenten einer Zelle zu finden sind.
Diese Rab-Proteine können sich dank ihrer Modifizierung durch sogenannte
Isoprenoidlipidreste (Geranylgeranylgruppen) mit den Membranen in der Zelle
verbinden und auch wieder davon lösen.
Ein zentraler Regulator der GTP-bindenden Rab-Proteine (Rab/Ypt-GTPasen) ist
RabGDI (GDI = GDP dissociation inhibitor). Er steuert die Verteilung der
aktiven GTP- and der inaktiven GDP-bindenden Proteinformen zwischen den
Membranen und dem Zytosol: Nur geranylgeranylierte, GDP-enthaltende
Rab-Proteine können durch GDI an die Membranen geliefert bzw. von den
Membranen wieder extrahiert werden.
In der Hefe ist GDI ein essentielles
Protein: Fehlt es, stirbt die Zelle. Beim Menschen führt eine bestimmte
Mutation im alpha-RabGDI-Gen, die so genannte I92P-Mutante, bei der an
Position 92 Isoleucin gegen Prolin vertauscht ist, zu einer Beeinträchtigung
der geistigen Leistungsfähigkeit, der so genannten nicht-syndromischen
geistigen Retardierung.
Deshalb haben sich Wissenschaftler seit vielen Jahren darum bemüht, die
Struktur des Rab:RabGDI-Komplexes zu bestimmen. Leider gestaltete sich das
extrem schwierig, da ausreichende Mengen der lipidierten Rab-Proteine nicht
durch den mittlerweile klassisch gewordenen Ansatz der zellulären
Überexpression hergestellt werden konnten.
Um dieses Problem grundsätzlich
zu lösen, haben jetzt Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für molekulare
Physiologie verschiedene Methoden der synthetischen organische Chemie mit
denen der Molekularbiologie kombiniert. Dieser "Methoden-Mix" ermöglicht
erstmals auch einen synthetischen Zugang zu den Hunderttausenden in der
Natur vorkommenden Proteinen, indem kleinere - synthetisch oder natürlich
hergestellte - Proteinfragmente durch "Ligation" zu erheblich größeren
Proteine zusammengeklebt werden können.
Mit Hilfe der chemisch/biochemischen Technik der "expressed protein
ligation" sind die Max-Planck-Forscher in der Lage, beliebige Modifikationen
im synthetischen Teil des resultierenden Proteins einzuführen. Im
vorliegenden Fall wurde ein verkürztes Rab-Protein aus Hefe (Ypt1) als
Fusionsprotein mit einer so genannten Intein-Domäne durch Expression in E.
coli-Bakterien hergestellt. Der Ypt1-Anteil des Fusionsproduktes wurde dann
mit einem Thiol-Reagenz von dem Intein-Anteil abgespalten, so dass ein
verkürztes Ypt1-Protein mit einem chemisch-reaktiven C-Terminus - einem
Thioester - entstand.
Danach konnte durch Reaktion ("Ligation") mit einem
synthetisch hergestellten geranylgeranylierten Dipeptid der C-Terminus von
Ypt1 in der nativen, mono-lipidierten Form generiert werden. Das nach diesem
Schema synthetisierte geranylgeranylierte Ypt1 kristallisierten die Forscher
dann als Komplex mit RabGDI aus Hefe-Zellen. Durch Röntgenbeugungsanalyse
gelang es den Wissenschaftlern, die dreidimensionale Struktur dieses
Protein-Komplexes mit einer räumlichen Auflösung von 1,5 A zu bestimmen.
Mit der Methode der Proteinligation hat sich das Repertoire der
molekularbiologischen Grundlagenforschung erheblich erweitert: Im konkreten
Fall der Rab-Proteine gelang es den Dortmunder Forschern damit erstmals, zum
einen die Struktur eines Rab-Proteins aufzuklären, das nach der Übersetzung
der Basenfolge seiner Boten-RNA noch modifiziert wurde. Zum anderen
ergründeten die Wissenschaftler auch den Mechanismus, mit dem das Protein
durch das Regulator-Protein GDI "erkannt" wird.
Denn aus dem
Strukturvergleich des Proteinkomplexes mit einem nicht an GDI gebundenen
Rab-Protein kann der spezifische Erkennungsmechanismus der GDP-Form direkt
abgeleitet werden. Darüber hinaus wurde offensichtlich, warum sich die
GDP-Dissoziation durch GDI verlangsamt. Ebenso wichtig wie auch überraschend
sind die Details der Wechselwirkung mit dem lipidierten C-Terminus: So
bindet der Lipidrest nicht an der früher vermuteten Stelle, sondern in
Domäne II des GDI-Moleküls. Diese Bindungsstelle konnte an Hand der Struktur
des freien GDIs nicht identifiziert werden, weil sie in diesem Molekül in
der notwendigen Form noch nicht ausgebildet wird, sondern erst in dem
Protein-Komplex durch Öffnung des hydrophoben Kerns von Domäne II geschaffen
wird.
Die neuen Forschungsergebnisse helfen wesentlich, die Rolle der Rab-Proteine
beim Vesikeltransport in der Zelle besser zu verstehen. So kann mit der
jetzt vorliegenden Struktur modelliert werden, wie Rab-Proteine durch den
Regulator RabGDI in Membranen ein- und ausgebaut werden. Die Proteinstruktur
erklärt zudem, warum die schon erwähnte I92P-Mutante des GDI-Proteins die
Rab-Proteine viel schlechter aus Membranen wieder extrahieren kann.
Sie
ermöglicht damit auch ein besseres Verständnis, worin zum Beispiel die
molekularen Ursachen für die bereits erwähnte Form der geistigen
Retardierung beim Menschen liegen und welche Ansätze für eine Therapie
geeignet sein könnten.
Structure of Rab GDP-dissociation inhibitor in complex with prenylated YPT1
GTPase
Alexey Rak, Olena Pylypenko1, Thomas Durek, Anja Watzke, Susanna Kushnir,
Lucas Brunsveld, Herbert Waldmann, Roger S. Goody & Kirill Alexandrov
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