Darmkrebs: Patienten profitieren von einer Bestrahlung vor der Operation
Eine präoperative Strahlen-Chemotherapie scheint bei einem Tumor des Enddarms der herkömmlichen postoperativen Behandlung überlegen zu sein. Darauf deuten die ersten Ergebnisse einer klinischen Studie hin, die jetzt auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie in Essen präsentiert wird.
"Sollten sich die
Erkenntnisse in der Langzeitbeobachtung bestätigen, müssten die
bislang gültigen Therapie-Leitlinien zur Behandlung des
Rektumkarzinoms entsprechend verändert werden", erklären die Experten.
Liegt der Tumor bis zu 16 cm oberhalb des Schließmuskels, spricht man
von Enddarmkrebs oder Rektumkarzinom. Wenn diese Tumore eine bestimmte
Größe überschritten oder bereits das Lymphsystem befallen haben, folgt
der Operation bislang eine kombinierte Radio-Chemotherapie, um die
Heilungschancen zu verbessern.
Bei besonders großen Tumoren, die nicht mehr operabel waren, drehten
die Ärzte vor einiger Zeit erstmals die Behandlungsstrategie um: Die
Strahlen-Chemotherapie ging der Operation voraus. Die Idee dahinter:
Der Tumor sollte durch die Kombi-Behandlung zunächst soweit
verkleinert werden, dass er doch noch operativ entfernt werden kann.
In manchen Fällen konnte dem Patienten dadurch die Amputation des
Enddarmes und ein künstlicher Darmausgang erspart werden.
Um herauszufinden, ob auch Patienten mit operablen Tumoren von einer
solchen präoperativen ("neoadjuvanten") Strahlen-Chemotherapie
profitieren, schlossen sich die Fachgesellschaften der chirurgischen,
strahlentherapeutischen und internistischen Krebsspezialisten 1994
unter der Federführung von Professor Rolf Sauer (Radioonkologie)
zusammen, um diese Frage in einer klinischen Studie mit über 800
Patienten zu klären.
Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen
eingeteilt. Eine Gruppe erhielt die Strahlen-Chemotherapie vor der
Operation, die andere Gruppe danach. Nach 4 Jahren lebten in der
neoadjuvant behandelten Gruppe noch 77 Prozent, in der postoperativ
bestrahlten 73 Prozent.
Deutlicher war der Unterschied bei der
Lebensqualität: Durch die Vorbestrahlung verdoppelte sich die Anzahl
der Patienten, die Schließmuskel-erhaltend operiert werden konnten.
Ihnen konnten die Ärzte ein Leben mit künstlichem Darmausgang
ersparen. Bei 188 Patienten erschien den Ärzten bei der ersten
klinischen Untersuchung eine funktionserhaltene Operation fraglich
oder unmöglich.
Während des Eingriffs gelang der Erhalt des
Schließmuskels bei 19 Prozent der nicht Vorbehandelten. In der
neodajuvant behandelten Gruppe kamen die Chirurgen dagegen bei 39
Prozent der Patienten ohne Amputation aus, die normale Funktion des
Enddarmes konnte erhalten werden.
Auch die Nebenwirkungen waren bei der neoadjuvanten Behandlung
geringer: Längerfristige Probleme gaben nur 9 Prozent der
vorbehandelten, hingegen 15 Prozent der nachbestrahlten Patienten an.
Dies ist insofern naheliegend, als die Strahlentherapie in einem
"chirurgisch unberührten Bauch", also ohne Vernarbungen, weniger
belastend ist, als nach einem ausgedehnten operativen Eingriff mit
entsprechenden Vernarbungen. Entgegen der Befürchtungen vieler
Chirurgen wurde die Operation durch die Behandlung nicht erschwert und
es traten keine vermehrten Komplikationen auf.
Ein wesentliches Problem beim Rektumkarzinom stellt das sogenannte
Lokalrezidiv dar, d.h. ein erneutes Wachstum des Tumors an seiner
ursprünglichen Stelle. Auch hier war die neoadjuvante Behandlung der
herkömmlichen überlegen: nur 7 Prozent der Patienten erlitten einen
Rückfall, bei der postoperativen Therapie hingegen 11 Prozent.
Besonders deutlich wurden die Unterschiede bei gesonderter Auswertung
der Patienten aus den beiden größten und erfahrensten Zentren: Hier
waren nach 4 Jahren 76 Prozent in der neoadjuvant behandelten Gruppe
tumorfrei, während dies bei postoperativer Therapie nur bei 60 Prozent
erreicht werden konnte.
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