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Eat-me: Sterbende Zelle lädt zum eigenen Leichenschmaus

Die Tübinger Biochemikerin Kirsten Lauber aus der Arbeitsgruppe von Prof. Sebas-tian Wesselborg am Universitätsklinikum Tübingen konnte zeigen, dass sterbende Zellen ein Phospholipid (Lysophosphatidylcholin LPC) als lösliches Anziehungssignal aussenden. Dieses dirigiert Phagozyten - sogenannte Fresszellen - chemotaktisch zu der sterbenden Zelle, ein Prozess, der die rechtzeitige Beseitigung der apoptotischen Zelle vor dem Auftreten der sekundären Nekrose einleitet.

Diese jetzt im Wissenschaftsmagazin Cell veröffentlichten Forschungsergebnisse sind wichtig für die Erforschung der Ursachen von Autoimmunkrankheiten.

In unserem Körper entstehen täglich Milliarden neuer Zellen, für die jeweils die gleiche Anzahl von Zellen sterben muss. Dies geschieht über die Aktivierung eines endogenen Selbstmordprogramms, auch Apoptose genannt. Dieser Begriff bezeichnet die Fähigkeit von Zellen ihren Selbstabbau zu aktivieren.

Die Apoptose von Zellen hat eine wichtige Funktion im Körper: Gesunde Zellen gehen in Apoptose, wenn sie geschädigt sind oder auch wenn sie ihre Funktion erfüllt haben. Die "Entsorgung" der apoptotischen Zelle erfolgt dabei über spezialisierte Fresszellen. Hierbei bleibt die sterbende Zelle im Allgemeinen intakt bis sie vom Phagozyten verspeist und der Inhalt der apoptotischen Zelle durch die Fresszelle vollständig recycelt ist. Wird die apoptotische Zelle jedoch nicht rechtzeitig entsorgt, platzt sie auf und der freigesetzte Zellinhalt verursacht eine allgemeine Entzündungsreaktion.

Nach neueren Erkenntnissen kann dies mit zur Entstehung von Autoimmunerkrankungen beitragen. Die sterbende Zelle präsentiert sogenannte "Eat-me-Signale" auf ihrer Oberfläche, welche die Erkennung und anschließende Verspeisung der apoptotischen Zelle durch den Phagozyten gewährleisten. Da die zellulären "Totengräber" nicht immer direkt neben einer sterbenden Zelle sitzen, stellt sich die Frage, wie die Phagozyten rechtzeitig vor dem Aufplatzen und dem Eintritt der sekundären Nekrosen zu der apoptotischen Zelle gelangen.

Die Arbeitsgruppe um den Krebsforscher Wesselborg ging dieser Frage nach und fand heraus, dass apoptotische Zellen zu den bereits bekannten "Eat-me-Signalen" zusätzlich als Attraktionssignal das Phospholipid Lysophosphatidylcholin (LPC) freisetzen. Hierbei wird zunächst die calcium-unabhängige Phospholipase A2 (iPLA2) durch die apoptotische Protease Caspase-3 aktiviert. iPLA2 spaltet daraufhin das Phosphatidylcholin der Zellmembran in die Produkte LPC und Arachidonsäure. Die Zelle setzt diese anschließend frei.

Ein bekannter Rezeptor für LPC ist der G-Protein-gekoppelte Rezeptor G2A, dessen Stimulation bekanntermaßen Chemotaxis induziert. Es ergibt sich folgendes Szenario: Während der Apoptose wird iPLA2 zunächst durch Caspase-3 aktiviert und setzt daraufhin durch Spaltung von Phosphatidylcholin Lysophosphatidylcholin frei. LPC bindet an membranständige Rezeptoren des Phagozyten, wie z.B. G2A, und induziert damit die Wanderung zu der apoptotischen Zelle. Durch die Exposition von "Eat-me- Signalen" auf der Zelloberfläche der sterbenden Zelle wird diese durch den Phagozyten erkannt und anschließend internalisiert.

Neuere Forschungsergebnisse legen die Vermutung nahe, dass nicht nur die unzureichende Eliminierung von autoreaktiven Thymozyten und peripheren T-Lymphozyten zur Entstehung von Autoimmunkrankheiten beitragen, sondern auch Defekte in der Entsorgung apoptotischer Zellen. So entwickeln z.B. Mäuse mit defekten Rezeptoren für "Eat-me-Signale" ein dem humanen systemischen Lupus erythematodes ähnliches Multi-Organ-Inflammationssyndrom. Gleiches konnte für Mäuse gezeigt werden, die keinen funktionellen LPC-Rezeptor G2A besitzen.

In Zukunft richtet sich das Interesse der Forscher darauf, inwieweit Defekte bei der Präsentation von Attraktions- und "Eat-me-Signalen" seitens der sterbenden Zelle oder aber Defekte in Migration, Erkennung und Aufnahme der apoptotischen Zelle seitens des Phagozyten zur Entstehung von Autoimmunerkrankungen beitragen.


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