Operation am ungeborenen Kind
Der "offene Rücken" bei Feten lässt sich bereits im Mutterleib
operieren; irreparable Spätfolgen lassen sich damit möglicherweise
vermindern. Derartige Eingriffe bedeuteten bislang eine große
Belastung für Mutter und Ungeborenes. Mediziner der Universität Bonn
haben eine endoskopische Methode entwickelt, mit der sich diese
Erkrankung schonender operieren lässt. Sie haben bereits drei Feten
mit dem neuen Verfahren behandelt.
"Spina bifida" heißt wörtlich übersetzt "gespaltenes Rückgrat". In den
meisten Fällen entschließt sich die Mutter bei diese Diagnose zum
Abbruch der Schwangerschaft. Trägt sie ihr Kind aus, leidet es meist
sein Leben lang unter mehr oder weniger schweren Lähmungen und
Störungen der Blasen- und Enddarm-Funktion.
Grund: Der ständige
Kontakt zum Fruchtwasser schädigt die sich entwickelnden Fasern - "so
wie man in der Badewanne nach einiger Zeit runzlige Hände bekommt",
erklärt Dr. Kohl. Später in der Schwangerschaft gelangen mit dem Stuhl
des Ungeborenen auch noch Verdauungs-Enzyme ins Fruchtwasser. Sie
greifen die offen liegenden Nerven zusätzlich an. Stöße können das
freiliegende Rückenmark noch weiter zerstören.
Daneben beobachten
Mediziner bei fast allen Ungeborenen mit Spina bifida Fehlbildungen
des Gehirns, da ständig Hirnwasser über das unverschlossene Rückenmark
in die Gebärmutter abfließt. Durch den frühen Verschluss des "offenen
Rückens" bereits im Mutterleib ließen sich derartige Folgeschäden
möglicherweise vermindern.
In den USA gehören Operationen am Fetus mit Spina bifida bereits zur
Tagesordnung. Allerdings öffnen die Chirurgen dabei Bauch und
Gebärmutter der Schwangeren wie bei einem Kaiserschnitt, ziehen das
Ungeborene hervor und verschließen die Fehlbildung. Für Mutter und
Fetus ist dieser Eingriff jedoch enorm belastend.
In der Abteilung für
Geburtshilfe und Pränatale Medizin der Universitäts-Frauenklinik
greifen die Mediziner daher zu einer schonenderen Methode. Bei ihrem
Verfahren schieben sie drei dünne Operationsröhrchen - der Durchmesser
dieser "Trokare" beträgt nur drei bis vier Millimeter - durch kleine
Schnitte in die Gebärmutter.
Im Sichttrokar ist eine kleine
Videokamera samt Lampe untergebracht, so dass der Arzt am Bildschirm
verfolgen kann, wo er sich jeweils befindet. Durch die beiden
Arbeitstrokare kann er dann die offene Stelle am Rückgrat mit einem
Flicken abdecken.
Doch der Eingriff ist schwierig: Bestenfalls sollte die Operation
zwischen der 18. und 25. Schwangerschaftswoche erfolgen - der Fetus
wiegt zu dieser Zeit gerade mal 200 bis 600 Gramm und misst von Kopf
bis Steiß 10 bis 15 Zentimeter. Das Operationsfeld ist nur ein bis
zwei Zentimeter groß; zwischen ihm und dem Arzt liegen Bauch- und
Gebärmutterwand.
Das Team um Dr. Kohl hat das Verfahren daher bereits
jahrelang tierexperimentell erprobt und verfeinert. Trotzdem bleiben
Operationen des Feten riskant: "Immer kommt es nach einem derartigen
Eingriff zur Frühgeburt; der Zeitpunkt entscheidet dann maßgeblich
über die Überlebenschancen des Kindes", erklärt der Pränatalmediziner.
"Und selbst wenn die Operation erfolgreich ist, können wir den Eltern
nicht versprechen, dass ihr Kind nachher ein Leben ohne
Einschränkungen führen kann." Daher operieren die Bonner auch nur
solche Kinder, deren Eltern sich unabhängig von der neuen Methode und
der darin gesetzten Hoffnung zur Fortsetzung der Schwangerschaft
entschlossen haben.
Bislang haben die Pränatalmediziner der Bonner Uniklinik als weltweit
einzige drei dieser so genannten "minimalinvasiven" Eingriffe am
Menschen durchgeführt, stets mit Zustimmung der Ethikkommission. "Alle
behandelten Kinder zeigten nach der Geburt nur geringe
Lähmungserscheinungen der Beine; Blase und Darm funktionierten fast
normal." Leider verstarb eines der Kinder an den Folgen der
Frühgeburt; die zweite Mutter lebt inzwischen mit ihrem Mädchen in
Leipzig. Das dritte Kind wird noch in der Bonner Klinik behandelt.
"Den endgültigen Erfolg der Eingriffe werden wir erst nach mindestens
zwei Lebensjahren beurteilen können."
In Zukunft hoffen die Mediziner, auch Feten mit schweren
Zwerchfellbrüchen oder lebensbedrohlichen Herzschäden vorgeburtlich
operieren zu können, um ihre Überlebenschancen zu verbessern.
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