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Selbstzerstörung durch Kollagen-Abbau

"Streptokokken-Infektionen sind ein ernsthaftes und oft unterschätztes Gesundheitsproblem", erklärt Professor Singh Chhatwal, Leiter der Abteilung Pathogenität und Impfstoffforschung an der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF).

Jedes Jahr infizieren sich weltweit rund 40 Millionen Menschen mit dem Keim. Häufige Krankheitsbilder sind Scharlach, Hals- und Mandelentzündungen sowie - besonders gefährlich - das akute rheumatische Fieber (ARF), das zu schweren Entzündungen in Herz, Gelenken, Haut und Nervengewebe führt.

Während solche Infektionen in Industrienationen meist rechtzeitig und gründlich behandelt werden, enden sie in armen Ländern mangels medizinischer Versorgung oft tödlich. "Es ist allgemein wenig bekannt, aber ARF und die Herzschäden, die es auslösen kann, sind bei Menschen unter 50 Jahren weltweit die häufigste Ursache für tödliche Herzerkrankungen", erklärt Chhatwal.

Warum das Bakterium Streptococcus pyogenes lebensbedrohliche Herzkrankheiten auslösen kann, war in der Wissenschaft lange umstritten. Forscher der GBF in Braunschweig bieten jetzt in der Fachzeitschrift "The Journal of Clinical Investigation" eine Erklärung dafür:

Beim Eindringen in den menschlichen Körper, so legen ihre Ergebnisse nahe, heften sich manche Typen des Erregers an das allgegenwärtige Stütz- und Verknüpfungsmolekül Kollagen. Durch diese Bindung verändert Streptococcus pyogenes die Struktur des Kollagens, so dass es vom menschlichen Immunsystem für fremd gehalten wird. Die Folge: Das Immunsystem produziert Antikörper gegen einen der wichtigsten Bestandteile des eigenen Körpers - und zerstört ihn damit blindwütig.

In diesem Mechanismus vermuten die GBF-Wissenschaftler Dr. Susanne Talay, Dr. Katrin Dinkla und Dr. Manfred Rohde die Ursache für so genannte rheumatische Herzerkrankungen. "Gerade die aggressiven Streptokokken-Stämme, die solche Herzschäden auslösen können, heften sich an Kollagen", erklärt Talay. "Es ist ihre Methode, den menschlichen Körper zu kolonisieren." Bald nach der Infektion finden sich im Blut Antikörper gegen das eigene Kollagen - genauer: gegen eine bestimmte Kollagen-Sorte, den Typ IV.

Die Hoffnung der Wissenschaftler: "Wenn auf der Basis unserer Ergebnisse ein Schnelltest entwickelt werden kann", sagt Katrin Dinkla, "dann lässt sich rasch und einfach feststellen, ob ein Erkrankter in Gefahr schwebt oder nicht. Man muss dann nur prüfen, ob der Erreger Kollagen binden kann - wenn ja, dann sollte man sofort Antibiotika einsetzen."

K. Dinkla, M. Rohde, W.T.M. Jansen, E.L. Kaplan, G.S. Chhatwal, S.R. Talay Rheumatic fever associated Streptococcus pyogenes isolates aggregate collagen. The Journal of Clinical Investigation (June 2003), Vol. 111 (12), pp. 1905 - 1912.


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