Hypnose gegen chronischen Schmerz: Neue Therapie aus Göttingen
"Sie atmen langsam und gleichmäßig. Sie spüren die angenehme Wärme der Sonnenstrahlen auf Ihrer Haut. Sie liegen ungestört an Ihrem Lieblingsstrand..." Dr. Stefan Jacobs, Wissenschaftler am Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie der Universität Göttingen, nimmt seine Patienten auf eine Phantasiereise mit...
Hypnoseinstruktionen sind die wichtigsten Bestandteile einer verhaltenstherapeutisch ausgerichteten Schmerztherapie, die an der Georg-August-Universität entwickelt wurde und die Hilfe für rund 15 Millionen chronische Schmerzpatienten in der Bundesrepublik leisten will.
Schmerzpatienten erlernen unter Anleitung eines Therapeuten, sich
durch einen auf Tonkassette gesprochenen Text in einen Zustand tiefer
Entspannung zu versetzen. Mit der individuell abgestimmten Autohypnose
gelingt es den Göttinger Untersuchungen zufolge nachweisbar, Schmerzen
deutlich zu reduzieren, die mit der Krankheit einhergehenden
Depressionen zu lindern, die Funktionsfähigkeit im Alltag zu steigern
und insgesamt eine verbesserte Lebensqualität zu erzielen.
Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitstudie am Göttinger
Psychologie-Institut erprobten 14 chronische Schmerzpatienten das von
Dr. Jacobs und seinen Mitarbeitern entwickelte
verhaltenstherapeutische Kurzprogramm. In zwei Vorbereitungsstunden
und neun Sitzungen erlernten sie die hypnotischen Interventionen,
führten Schmerztagebücher und durchliefen mehrere standardisierte
Tests. Alle Patienten zeigten eine schwere Symptomatik und galten als
"austherapiert" - es gab medizinisch keine Möglichkeiten mehr, ihre
Schmerzen zu lindern. Die zehn weiblichen und vier männlichen
Teilnehmer litten unter Rückenschmerzen, Migräne oder Rheuma,
teilweise mit mehrfachen Schmerzsyndromen.
"Das Ergebnis der Studie zeigte eine deutliche Reduktion der
Schmerzstärke und ähnlich starke Verbesserungen in den Bereichen
Depressivität und Funktionsfähigkeit", fasst Dr. Jacobs zusammen. Wer
zu Hause mindestens zweimal am Tag seine persönliche Phantasiereise
praktizierte, profitierte dauerhaft, wie eine Nachuntersuchung nach
drei Monaten zeigte. "Das Tolle ist, dass es wirkt," so eine
Patientin, die während der zwanzigminütigen Hypnose den Schmerz nur
noch als ein "vertrautes Druckgefühl" empfand.
Damit niedergelassene Therapeuten das Therapieprogramm ihren Patienten
anbieten können, haben die Göttinger Psychologen ein Lehrvideo und ein
Therapiemanual für ihre Fachkollegen entwickelt, das für 35 Euro bei
der Zentralen Einheit Medien (ZEM) der Universität Göttingen bestellt
werden kann. Verhaltenstherapeuten mit Grundkenntnissen in Hypnose
können, so Dr. Jacobs, das Programm bei ihren Patienten nach kurzer
Zeit einsetzen und sie gezielt auf die selbstständige Anwendung zu
Hause vorbereiten. Er bedauert, dass Ärzte und auch Psychologen wenig
über verhaltenstherapeutische Maßnahmen bei chronischem Schmerz
wüssten. Bis die Betroffenen den Weg zur Göttinger Institutsambulanz
fänden, hätten sie in der Regel einen langen Leidensweg von
durchschnittlich neun Jahren hinter sich.
"Zu uns kommen häufig Patienten, die bereits im Universitätsklinikum
bei der Schmerzambulanz waren - wir haben eine enge Zusammenarbeit mit
den dortigen Ärzten entwickelt", so Dr. Jacobs. Das autohypnotische
Programm der Göttinger Psychologen wirkt jedoch nicht grundsätzlich
bei allen Schmerzpatienten. Dr. Jacobs weist auf eine kleine Gruppe
hin, die nicht auf Hypnose anspreche. Ihre "Suggestibiltät", das heißt
die Fähigkeit sich auf eine Phantasiereise zu begeben, sei zu gering.
Die Göttinger Psychologen verfolgen das Thema Schmerztherapie bereits
weiter. Mit einer Folgestudie wollen sie den Zusammenhang zwischen der
Schmerzreduktion durch Autohypnose und einem dadurch bedingten
geringeren Verbrauch von Schmerzmitteln belegen. Gelingt der Nachweis,
würde der Einsatz der verhaltenstherapeutischen Hypnose auch einen
Beitrag zur Senkung der Kosten im Gesundheitswesen leisten. Dr.
Jacobs: "Schmerzmittel gelten als umsatzstärkster Bereich der
Pharmaindustrie."
Bestelladresse für Film und Manual: Universität Göttingen, Zentrale
Einheit Medien, Humboldtallee 32, 37073 Göttingen, Fax (0551) 39-8030
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