Ergonomie in der Pflege
Datenhandschuhe, 3-D-Brillen und Bodyscanner: Die Rede ist nicht etwa vom Equipment eines Science-fiction-Kinohelden, sondern vom täglichen Handwerkszeug der Ergonomie-Wissenschaftler im Institut für Arbeitsphysiologie an der Universität Dortmund (IfADo). Im Forschungsbereich "Virtuelle Realität" (VR) des Instituts werden Situationen aus dem realen Arbeitsalltag simuliert.
"Wir betreiben eine anwendungsorientierte Grundlagenforschung zur Sicherung und Förderung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Menschen", erläutert Ergonomie-Forscher Dietmar Gude vom IfADo. "Einen Schwerpunkt bilden Untersuchungen zum Einsatz von VR-Systemen bei der Entwicklung menschengerechter Arbeitssysteme."
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Wie wichtig die Überprüfung und qualitative Bewertung von Arbeitssystemen und -techniken ist, wird am Beispiel der Alten- und Krankenpflege deutlich: Häufig wird der Pfleger selbst zum Patienten, weil seine Wirbelsäule regelmäßig enormen mechanischen Belastungen ausgesetzt ist. Denn das Aufrichten, Drehen und Betten der Patienten erfolgt nicht nur mit hohem Kraftaufwand. Ungünstige Körperhaltungen wie gleichzeitige Dreh- und Beugebewegungen kommen hinzu und können Fehl- und Überbelastungen von Muskel- und Knochenapparat verursachen - mit entsprechend schmerzhaften Folgen.
Am Dortmunder IfADo werden gängige Pflegetechniken unter die Lupe genommen. Dazu stellen die Forscher biomechanische Berechnungen an: Mit Hilfe eines elektronischen Abbilds des Menschen können die Wissenschaftler messen, wie sich bestimmte Bewegungen auf die Wirbelsäule der Pflegeperson auswirken. Für diese Berechnungen benötigen sie jedoch genaue Angaben über die Kräfte, die auf Knochen, Sehnen und Muskeln einwirken. Hierzu wird die reale Pflegesituation "digitalisiert": Die Körperhaltung des Pflegenden wird mit Hilfe eines Infrarot-Erfassungssystems aus verschiedenen Perspektiven erfasst und in digitale Daten umgewandelt. Doch wie misst man die Belastung, die auf den Körper des Pflegers einwirkt, wenn er einen Patienten aufrichtet oder dreht? Bislang war es kaum möglich, hierzu zuverlässige Daten zu ermitteln. Die IfADo-Forscher haben eine Lösung gefunden: das "intelligente" Bett.
Alle Gewichtsveränderungen des darin liegenden Patienten, die Pfleger oder Pflegerin verursachen, werden von diesem "Mess-Bett" registriert und in digitale Informationen umgewandelt. Zusätzliche Daten erhalten die Forscher von Kraftmessplattformen unter den Füßen der Pflegeperson. Alle Daten fließen dann in das vom Institut neu entwickelte biomechanische Modell, den so genannten "Dortmunder". Auf diese Weise kann die Höhe der Wirbelsäulenbelastung des Pflegepersonals genau bestimmt werden.
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Testsituationen virtuell nachzustellen ist nicht selten mit enormen Kosteneinsparungen verbunden. Auch in der Wirtschaft wird daher immer öfter auf VR-Systeme zurückgegriffen, denn die teure Herstellung von "realen" Prototypen kann dann entfallen. Stattdessen kommen dreidimensionale digitale Produktmodelle zum Einsatz. "Ein solches virtuelles Prototyping erlaubt realitätsnahe Tests und Vergleiche in einer sehr frühen Phase der Produktentwicklung", erklärt der Arbeitsphysiologe Gude.
Erst kürzlich war Hans-Olaf Henkel, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, zu Gast im IfADo und nutzte die Gelegenheit für eine Fahrt im digitalen Prototyp eines Müllwagens, der im IfADo auf ergonomische Gestaltungsmängel untersucht wird. Bei einer solchen Analyse achten die Wissenschaftler vor allem auf eine gesunde Körperhaltung des Fahrers, auf eine visuell und akustisch uneingeschränkte Wahrnehmung und auf die problemlose Bedienbarkeit aller Elemente in der Fahrerkabine.
Insbesondere für Berufsgenossenschaften und Krankenkassen sind die Erkenntnisse der Dortmunder Forschungseinrichtung von großem Interesse. Weitere Informationen unter www.ifado.de und www.ergonetz.de.
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