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Bericht: Krankheit in Literatur und Wissenschaft

Literatur kann Ärzten helfen, ihre Sprachkompetenz zu vervollkommnen: Um umfassend, differenziert und nicht nur im wissenschaftlichen Handlungsbereich über Krankheit sprechen zu können, ist die Beherrschung mehrerer Sprachregister erforderlich, betont Dr. Kundmüller von der Universität Köln.

Die Fachsprache ist unerläßlich für den Dialog zwischen Ärzten und erlaubt, sich mit definierten Begriffen über Krankheitsbilder, Diagnosen, Ursachen und Therapien auszutauschen. Im Gespräch zwischen Arzt und Patient kann die Fachsprache unangemessen sein und die Kommunikation behindern.

Wenn Sprache ängstigt...
Patienten, die informiert und beraten werden wollen, können sich ausgeschlossen und ausgeliefert fühlen, wenn sie die Sprache nicht verstehen. Zudem drückt sich in der Sprache auch eine Sichtweise aus, die bei Arzt und Patient oft nicht übereinstimmt, so daß Einordnung und Behandlung einer Krankheit leicht am Bedürfnis des Patienten vorbei zielen kann.

Weg zur individuellen Wirklichkeit
Kundmüller weist auf ein Charakteristikum von Sprache hin, das für Literatur und Wissenschaft gleichermaßen gilt: Erst durch die Sprache wird die beschriebene Welt erschaffen, die Wahl des Ausschnittes wird vom Betrachter getroffen und ist nicht unabhängig von ihm zu denken.

Die zeitgenössische Literatur führt dieses Phänomen vor Augen indem sie mit dem Blickwinkel spielt, konträre Aussagen nebeneinander stellt und den Leser in Bezug auf den Wahrheitsgehalt verunsichert.

Kategorisierung beeinflußt Gesundheitszustand
Die Unmöglichkeit objektiver Betrachtung und Beschreibung ist Gegenstand wissenschaftstheoretischer Diskussionen. So ist es für eine fachliche Kommunikation zwar notwendig, diese zu systematisieren und Krankheitsbilder zu definieren, aber solche Systematiken und Definitionen sind nicht die Realität, sondern eine Betrachtungsweise derselben.

Das zeigt sich besonders in der Grauzone zwischen Gesundheit und Krankheit. Die Übergänge sind hier fließend und eine Kategorisierung als krank oder gesund kann für einen Patienten gravierende Folgen haben. Im medizinischen Alltag wird dies oft übersehen, da die Fachsprache für die medizinisch Tätigen selbstverständlich geworden ist. Sie wird als angemessene Form des Sprechens über Krankheit hingenommen.

Literatur modifiziert Themensicht
Zeitgenössische Literatur kann eine wichtige Funktion erfüllen, da sie Sprache in den Blickpunkt rückt und Unbegreifliches nicht erklärt, sondern im strukturellen Zerfall des Textes erfahrbar macht. So kann sie den den Leser - also auch den lesenden Arzt - für seine eigene Sprachform sensibilisieren.

Am Beispiel der Romane des Engländers Patrick McGrath zeigt Kundmüller, auf welch vielfältige Weise sich literarische Texte dem Thema Krankheit nähern können. Das Sprechen über Krankheit wird subjektiviert und in den Dienst persönlicher Sinnfindung gestellt. Landläufige Konzeptionen des Krankhaften werden problematisiert oder unterminiert, dadurch wird der ideologische Charakter jeglicher Krankheitsdefinition aufgedeckt.


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